: Deutschland träumt in vorderster Front
Die Bundeswehr wird beim nächsten Nato-Einsatz in Bosnien eine größere Rolle spielen als bisher. Volker Rühe hat sein Ziel erreicht und dabei geschickt agiert. War er auch klug? ■ Aus Bergen Bettina Gaus
Die Geburtstagstorte mit brennenden Wunderkerzen wurde bereits 25 Minuten vor Mitternacht hereingetragen – auf daß der Ehrengast sie wenigstens noch zu Gesicht bekäme. Aber die Sorge der Gratulanten, Volker Rühe könne sich noch vor dem Glockenschlag zu seinem Geburtstag aus dem geselligen Beisammensein verabschieden, erwies sich als unbegründet. Gutgelaunt und gelöst plauderte der deutsche Verteidigungsminster am Vorabend des informellen Treffens mit seinen Nato- Kollegen im norwegischen Bergen bis nach ein Uhr morgens mit den Journalisten.
Der Minister fühlt sich im Aufwind. Die Nützlichkeit der von ihm seit Jahren vorangetriebenen Osterweiterung der Nato findet inzwischen innerhalb des Bündnisses ein „überwältigendes Maß an Konsens“, erklärt er. Und falls nach Ablauf des Ifor-Mandats am 20. Dezember weiter Nato-Truppen in Bosnien stationiert sein sollten, dann wird Deutschland voraussichtlich dabei eine noch größere Rolle spielen als jetzt. Darauf hatte Rühe lange hingearbeitet.
Bislang fehlen freilich die Voraussetzungen. Die Nato-Minister haben formell noch nicht ihre Bereitschaft für eine weitere Militäroperation in Bosnien erklärt, auch wenn Beobachter daran kaum zweifeln. Offiziell wollen die Natominister jetzt vier verschiedene Möglichkeiten für die Zeit nach dem 20. Dezember prüfen lassen, darunter auch den vollständigen Abzug aller Truppen. Die UNO hat noch kein Folgemandat für die Zeit nach Ifor erteilt. Die bosnischen Konfliktparteien haben einer weiteren ausländischen Truppenpräsenz noch nicht zugestimmt. Die nationalen Parlamente etlicher Nato-Staaten müssen auch noch gefragt werden und entsprechende Beschlüsse des Nato-Rats ratifizieren.
Kleinigkeiten. „Die werden ratifizieren“, sagt Rühe knapp, begleitet von einem wegwerfenden Abwinken mit der rechten Hand. „Natürlich ratifizieren die.“
Schon jetzt stellt die Bundeswehr nach den USA, Frankreich und Großbritannien das viertgrößte Militärkontingent im ehemaligen Kriegsgebiet. Sollte Frankreich seine Truppen drastisch reduzieren, dann stünde die Bundesrepublik an dritter Stelle. Für die Hardthöhe rückt damit die Möglichkeit in greifbare Nähe, Spitzenpositionen besetzen zu dürfen. Wird ein Deutscher Chef des Stabes oder gar Kommandeur? Vor wenigen Jahren noch wäre die Erörterung einer solchen Personalfrage Wolkenschieberei gewesen. Vieles hat sich seither geändert – nicht nur im konkreten verfassungspolitischen, sondern auch im atmosphärischen Bereich.
Hatten während des UNO-Einsatzes im ostafrikanischen Somalia Bundeswehrsoldaten nach dem dritten Bier noch offen über ihre Sinnkrise nach dem Ende des Kalten Krieges gesprochen, so ist das heute bei der deutschen Armee längst kein Thema mehr. Der Wunsch nach einer auch militärischen Führungsrolle Deutschlands in der Welt ist wieder salonfähig. Dieses Ziel hat Volker Rühe über Jahre hinweg angestrebt.
Als „Salamitaktik“ hat Marieluise Beck von den Grünen kürzlich Rühes Vorgehen im Zusammenhang mit der Stationierung deutscher Soldaten in Bosnien bezeichnet. Da gibt es nicht mehr viel zu taktieren. Die Salami ist aufgegessen. Vom Einsatz deutscher Sanitäter in Kambodascha zu deutschen Kampfverbänden in Bosnien führt eine direkte Linie. Volker Rühe hat sich da nie aus dem Konzept bringen lassen: Immer nur den nächsten Schritt nennen und zugeben, aber dabei das Ende des Wegs nicht aus den Augen verlieren.
Dieselben Aufgaben wie die Militärs anderer Nationen soll die Bundeswehr bei der Ifor-Folgeoperation in Bosnien übernehmen, wünscht Rühe und erklärt, das gebiete schon die internationale Solidarität. Die Verbündeten hätten für eine Zurückhaltung Deutschlands kein Verständnis mehr.
Nein? Norwegens Verteidigungsminister Jørgen Kosmos nannte die Teilnahme Großbritanniens, Frankreichs, der USA und Rußlands an einer neuen Militäroperation in Bosnien eine zwingende Voraussetzung für ihr Gelingen. Deutschland erwähnte er nicht.
„Natürlich könnten wir auch ohne Deutschland. Wir haben schließlich auch früher ohne Deutschland agiert“, meint ein britischer Journalist, der seit Jahren über sicherheitspolitische Fragen berichtet. Im Vorfeld der Tagung in Bergen ist Volker Rühe vorgeprescht: Zwischen zwei- und dreitausend Mann sei die Bundeswehr nach Ablauf des Ifor-Mandats grundsätzlich bereit, in Bosnien zu stationieren. Ein neues Mandat solle ausländischen Truppen das Recht zur Verhaftung international gesuchter Kriegsverbrecher geben. Die Reaktion der Verbündeten in Bergen war kühl. „Es war übereinstimmende Meinung“, so der britische Verteidigungsminister Michael Portillo in Bergen, „daß wir erst das Ziel der Mission erörtern sollten und dann über Zahlen reden, nicht umgekehrt.“ Wenig glücklich äußerten sich in anderem Zusammenhang auch Vertreter der Vereinigten Staaten. „Alle stimmen darin überein, daß es notwendig ist, den internationalen Gerichtshof zu unterstützen“, erklärte ein hochrangiger US-Delegierter. „Aber eine individuelle Menschenjagd ist eine ganz andere Option. Und es ist nicht eine, die die USA der Allianz empfehlen würde.“
Setzen, Rühe, Sechs. Na und? Der Verteidigungsminister dürfte die Kritk erwartet haben. Er bleibt sich da in seinem Verhalten treu: Immer wieder wirft er den Stein an derselben Stelle ins Wasser, bis sich die Umgebung an die Wellen gewöhnt hat. Jetzt steht die von ihm genannte mögliche Stärke deutscher Truppen immerhin erst einmal im Raum. Nun müßten schon die anderen kommen und ausdrücklich sagen, daß sich, vielen Dank, auch mit weniger Deutschen auskommen ließe. In Zeiten leerer Kassen sagt sich das nicht leicht. Da mag die Sorge in London oder Paris vor einem allzu starken Deutschland noch so groß sein.
Der deutsche Verteidigungsminister agiert geschickt. Agiert er auch klug? Ob sich irgend jemand einmal Gedanken für den Fall gemacht habe, daß das Dayton-Friedensabkommen in Bosnien einfach scheitere, wollte ein Hörfunkjournalist von Rühe wissen. Der Minister reagierte unwillig. Der Kolllege solle mal im Archiv nachsehen. Wenn man sich an die Lage noch vor einem Jahr erinnere, dann sei doch offenkundig, daß Dayton „großartig funktioniert“. Es ist möglich, daß Volker Rühe den Unterschied zwischen einem politischen Erfolg und der Demonstration militärischer Stärke tatsächlich nicht zu erkennen vermag.
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