Autonome Schule

Ich unterhalt mich grade aus meine Kioskluke raus mit Studienrat Arnold über Horoskope und ob da vielleicht doch was dran ist, da kommt Bichler, der Penner, angeglitscht. „Howdi, Folks“, begrüßt er uns, „bin grade mal wieder aussen Entzug zurück, und der erste Schluck in Freiheit findet bei dir statt, Kalle!“ Und denn läßt er sich 'n Sixpäck und den „Rückwärts voran“ geben, das neue Blatt vonne Junge Union, das grade anne Kioske gekomm' ist. „Hier“, sagt Bichler, guckt inne Zeitschrift und reißt dabei gleichzeitig de erste Bierdose auf, „diese neuen pädagogischen Konzepte und daß die Schulen in größerer Eigenverantwortung arbeiten sollen und gerade auch auf finanziellem Sektor: alles schon mal dagewesen!“ Achso ja, der Bichler war, bevor er Platte machte, 'n richtiger Lehrer gewesen. „Wo denn?“ fragt Herr Arnold und sieht aus wie Spock mit seine gespitzte Löffel. Inzwischen ist Heinzi rangesörft und läßt sich'n „Wild und Hund“ geben, weil er ja zwei Mastinos hat. „Das war damals in den wilden 60ern“, erklärt Bichler, „da wollten die Schulen schon einmal unabhängig von staatlichen Geldern werden, aber von sich aus, und es war nicht, wie jetzt, von OBEN verordnet.“ „Und wie lief das?“ fragt Heinzi. „Ja“, sagt Bichler und hat schon die zweite Dose anne Zunge zu fassen, „es fing mit WERBUNG an. Wenn eine Unterrichtsstunde gut gelaufen war und es zur Pause klingelte, sagte der Pädagoge zum Beispiel: Diese gute Unterhaltung bot Herr Bichler und KROMBACHER! Das hat die Schüler überzeugt, und der schuleigene Kiosk neben dem Pausenhof hat seinen Bierumsatz um 50% gesteigert. Die Kolleginnen haben meistens mit SAROTTI geworben oder mit KOTZAB für die Bulimikerinnen.“ „Gut“, sagt Heinzi, „so fing es an, und wie ging es weiter?“ „Die nächste Stufe bestand aus der Gründung kleiner Unternehmen. Mit den Profiten, die sie abwarfen, konnten wir nicht nur die Pflege und Instandhaltung des Schulgebäudes, sondern auch schon die Unterrichtshilfsmittel und die Lehrbücher finanzieren.“ „Was für Unternehmen waren das denn?“ will Heinzi wissen. „Naja, eine Disko, als die gut lief, haben die Schüler eine Kneipe eröffnet, ,Zum fröhlichen Pestalozzi', dann einen Mexiko-Imbiß mit Tortillas und Enchiladas, lief alles wie geschmiert. Und da kamen sie natürlich erst recht in Fahrt“, grient Bichler und ist schon bei de 4. Dose. „Und?“ fragt Studienrat Arnold, „haben diese Nebentätigkeiten nicht das eigentliche pädagogische Anliegen der Schule überwuchert?“ „Wieso Nebentätigkeiten?“ trompetet Bichler, „DAS WAR DOCH UNSER KONZEPT, denn: NICHT FÜR DIE SCHULE, FÜRS LEBEN LERNTEN WIR! Und ,LEBEN' heißt: wirtschaftlich vorwärtskommen! Die Schüler haben also eine Altbausanierungsfirma gegründet mit Subunternehmern. Die Lehrer haben ,ambulante Erziehungsberatung' angeboten, in einem Kleinbus, oder einen ,Horoskopdienst auf wissenschaftlicher Grundlage', mehr brachten sie nicht.“ „Und warum ist dies Projekt gestoppt worden?“ frag ich. „Naja“, sagt Bichler und reißt de letzte Dose den Skalp ab, „es kam so, wie's kommen mußte: DER KAPITALISMUS FRISST SEINE EIGENEN KINDER.“ „Versteh ich nicht“, meint Heinzi. „Naja“, gurgelt Bichler, „die Versandfirma, welche diese speziellen Pornokassetten im Angebot hatte, von den Schülern mit großem Engagement produziert, lief ja am besten und wäre bis heute so weitergelaufen, aber der selbstentworfene Werbespot LIEBER PAPI, WAS DU AUF DEN PHILIPPINEN SUCHST, FINDEST DU EBENSOGUT AUCH BEI UNS, das war zuviel...“