„Ich habe gar keine kriminelle Energie“

■ Für einen Ex-Junkie ist das Bild vom heruntergekommenen Fixer ein Klischee

Nervös und unsicher sitzt Kai auf dem Sofa. Der 27jährige blickt auf seine Drogenkarriere zurück. Die fing in Bremen an und endete in Berlin. Heute ist Kai einer von über 200 Leuten, die bei Synanon aus ihrer Abhängigkeit aussteigen. Zum Leben auf Gut Schmerwitz gehört es auch, die eigene Lebensgeschichte zu erzählen.

„Ich bin Baujahr 1969“, beginnt er. Kai wohnt in einem Vorort von Bremen bei seinen Eltern. Bis die sich 1976 trennen. Ab jetzt lebt er bei seinem Vater und dessen Freundin. Mit ihr versteht er sich anfangs gut, später gibt es allerdings viel Streit und Auseinandersetzungen. „Die kann ich heute immer noch nicht leiden“, sagt Kai. Als die Konflikte zu hart werden, mietet der Vater sich und seinem Sohn eine Wohnung am Steintor. Direkt vor seiner Haustür tummelt sich die Drogenszene der Stadt. „Der Bahnhof Zoo von Bremen.“

Kai lebt fast immer allein, weil sein Vater ständig unterwegs ist. Er fängt an zu trinken und hängt viel mit Punks rum. Durch den Umzug muß er auch die Schule wechseln, findet keinen Halt und driftet immer weiter ab. Er beginnt zu kiffen und andere Drogen zu nehmen. Mit 16 wird er von seinem Vater vor die Wahl gestellt: Arbeit oder Schule. Kai steigt bei einem ABM-Projekt ein. Hier lernt er einige Leute kennen, die Heroin fixen. „Ich hatte positive Erfahrungen mit ihnen. Ich konnte ihnen große Summen Geld leihen und bekam es auch pünktlich wieder.“ Für Kai ist das Bild vom heruntergekommenen Fixer ein Klischee.

Mit 18 setzt er sich den ersten Schuß: „Abhängig ist man zuerst im Kopf. Die körperliche Abhängigkeit kommt erst viel später.“ Kai fängt eine Ausbildung an. Und drückt heimlich weiter. Ein Jahr hält er den Balanceakt zwischen Ausbildung und Sucht durch. Dann bricht er die Lehre ab. Um den Heroinkonsum zu finanzieren, beginnt er zu dealen, knackt Autos und klaut Alkohol, um ihn in Stoff umzusetzen. „Von Natur aus habe ich gar keine kriminelle Energie, habe nur geklaut, um den nächsten Druck zu finanzieren.“

Jetzt gerät er immer häufiger mit der Polizei in Konflikt, es kommt zu Hausdurchsuchungen. Die Situation wird ausweglos. Erste Zweifel regen sich. Plötzlich wünscht Kai sich ein Leben ohne Drogen. Nach mehreren halbherzigen Entziehungskuren beschließt er, einen endgültigen Versuch zu machen. „An diesem Punkt war mir alles egal. Ich wollte nur noch aufhören.“

Er fährt zu seiner Großmutter, dann steckt ihm ein Freund die Adresse von Synanon in Berlin zu. Kai läßt sich von seinem Vater gleich hinfahren. Ein Leben ohne Drogen beginnt! Heute ist er viereinhalb Jahre bei Synanon. „Es macht mir Spaß, mit so vielen Leuten zusammenzusein. Hier kann ich meine Träume verwirklichen, eine Lehre machen und in einer Band Musik machen. Hier bin ich auf dem Weg, wieder Mensch zu werden.“ Robert Götz/Steffen Lipry