Einfach Tore machen

■ Jo Bonfrere, Trainer des Fußball-Olympiasiegers, will nicht mehr nach Nigeria mit seinen selbstherrlichen Funktionären zurück

Eijsden (taz) – Der Mann, der Fußballgeschichte schrieb, blickt müde drein. Jo Bonfrère, Trainer der nigerianischen Nationalmannschaft, hat sich in seiner niederländischen Heimat verkrochen. Aus einem kleinen Hotelzimmer in Lagos hatte der 50jährige unter primitiven Umständen den ersten Olympiasieg eines afrikanischen Fußballteams organisiert. Das Telefon funktionierte selten, manchmal stand er mit seinem Koffer vor der Tür – dann hatte der Fußballbund die Rechnung nicht bezahlt. Neben dem Training erledigte er Arbeiten, für die die Klubs seiner Spieler Dutzende von Mitarbeitern beschäftigen. „Ich hab' alles selbst gemacht: Bälle aufpumpen oder sie erst einmal besorgen, Faxe schreiben und schicken, Flüge planen und Tickets bestellen, Videos vom Gegner besorgen.“

Nun sitzt Bonfrère im Garten seines fast fertigen Hauses in Eijsden nahe seiner Geburtsstadt Maastricht. Das Telefon klingelt. Jemand von Servette Genf will wissen, wo sein nigerianischer Spieler sei. Bonfrère nimmt sich Zeit für den nervösen Mann: „Ich weiß doch nicht, wo der steckt. Irgendwo in Nigeria.“

Mit Offensivfußball gewann Nigeria als erste afrikanische Mannschaft ein Weltturnier. Gegen Brasilien siegte Nigeria im Halbfinale nach 1:3-Rückstand noch 4:3. „Nirgendwo sind die Angriffsqualitäten so groß wie in Nigeria. Und vergessen Sie nicht“, sagt Bonfrère stolz, „wir haben noch Spieler in der Hinterhand.“ „Wir“? Jo Bonfrère wird nicht mehr zurückgehen. „Ich habe meine WM-Prämie von 1994 noch nicht, vom versprochenen Haus für den Afrika-Cup 1994 will ich gar nicht reden.“ An sich hätte er einen guten Vertrag, aber in Nigeria sind Verträge nicht viel wert. „Vor dem Finale sagte ich den Funktionären, wenn ihr jetzt nicht das Gehalt auftreibt, dann gehe ich nicht raus. Dann kamen sie mit ein paar Dollarbündeln um die Ecke.“

Es folgte der Olympiasieg, aber Bonfrère war unschlüssig. Die Spieler baten ihn, weiterzumachen. Aber er hat die Nase voll von Lagos und dem Sportminister. „Ich habe Angebote aus Ghana, aus Ägypten und Tunesien. Aber ich will das Buch Afrika zuschlagen.“

In Nigeria schoben ihm die Funktionäre schon mal Zettel mit Aufstellungen zu. „Ich ignorierte sie. Wir gewannen trotzdem – die Prämie der Spieler haben sie erhöht, meine aber gekürzt.“ Mit den Spielern hat sich Bonfrère immer gut verstanden. Im Gegensatz zu seinem Landsmann Clemens Westerhof, dessen Assistent er bei der WM in den USA war. Westerhof beleidigte die Spieler, und nie verstummten die Gerüchte, daß er illegalerweise an Spielerverkäufen beteiligt war. Eines Tages hatten die Spieler Westerhof satt und warfen ihn aus dem Hotel. „Einen Kolonialherren“ nannte ihn die niederländische Zeitschrift Voetbal International. „Die Spieler lasen, was er über sie gesagt hat“, erinnert sich Bonfrère, „aber nun haben sie einen klaren Unterschied zwischen zwei niederländischen Trainern gespürt. Mehr sage ich nicht zu Westerhof. Jedesmal, wenn man seinen Namen nennt, bekommt er wieder Aufmerksamkeit. Ich schweige ihn lieber tot.“

Auf jeden Fall hat der nigerianische Fußball unter den niederländischen Trainern Fortschritte gemacht – vor allem taktisch. Bonfrères Sicht vom Fußball ist eine einfache. „Ich muß mit den Spielern arbeiten, die da sind. Bei Nigeria sind es technisch starke, wendige und angriffsfreudige Spieler. Also haben wir bei Olympia mit drei Stürmern gespielt oder mit vier. Einen Libero braucht man nicht mehr. Hinten spiele ich mit vier Mann auf einer Linie, eins gegen eins.“ Der Fußball bei Olympia stand in krassem Gegensatz zur ängstlichen Taktik, die bei der Europameisterschaft vorherrschte. „Wir hatten ein einfaches Ziel: Tore machen. Ein Gegentor wirft uns nicht um.“

Beim Training mußten die Spieler immer wieder den Ball laufen lassen. Selbst wenn gegen einen schwachen Gegner ein hohes Ergebnis feststand, feilte er an seinem Konzept. „Ich sagte immer wieder, das hilft auch gegen große Länder.“ Nigeria habe keine besseren Talente als Ghana, Sambia, Kamerun oder die Elfenbeinküste. „Aber schauen sie sich den Afrika- Cup an. Da feiert der Individualismus Triumphe. Wir dagegen ließen den Ball zirkulieren, setzten die Gegner fest. Wir haben unsere Talente besser entwickelt.“

Aber das alles könne schnell vorbei sein. Der nigerianische Fußballbund ist auf der Suche nach einem gefügigeren, wahrscheinlich einheimischen Coach. Aber die Spieler würden, so Bonfrère, einen afrikanischen Coach nicht respektieren. „Sie sind alle auf dem höchsten Fußballniveau in Europa, nigerianische Trainer nicht. Also wollen sie sich nichts von einem Trainer aus Afrika erzählen lassen.“ Er selbst schloß eine Rückkehr nach Nigeria inzwischen definitiv aus und erklärte sich statt dessen bereit, für zwei Monate nach Katar zu gehen. Danach möchte er gern einen Job in Europa. „Ich bin offen für alles. Es kommt nur darauf an, daß ich unabhängig meine Arbeit machen kann.“

Was Afrika betrifft: „Ich gebe den meisten europäischen Trainern dort keinen Monat. Dann hauen die wieder ab. Aber ich hoffe, daß der afrikanische Fußball nun den Durchbruch schafft. Denn noch immer wird auf den Fußball in Afrika abschätzig geblickt. Ich muß mir noch immer Fragen stellen lassen, ob die in Nigeria barfuß spielen.“ Falk Madeja