Taktisches Spiel mit dem Pluralismus in Nigeria

Die Militärregierung unter General Sani Abacha gibt sich reformwillig und läßt jetzt neue Parteien zu. Doch die Nigerianer sind skeptisch. Denn in den Organisationen tummelt sich vor allem die alte, korrupte Elite des Landes  ■ Von Bright Johnson

Berlin (taz) – Das Militärregime von General Sani Abacha in Nigeria hat versprochen, 1998 die Macht an einen gewählten zivilen Nachfolger abzugeben. Aber ob das wirklich passiert, weiß nur das Regime selbst. Denn nigerianische Militärregime sind dafür bekannt, daß sie das eine sagen und das andere meinen.

Schon der letzte Militärmachthaber in Nigeria, General Ibrahim Babangida, hatte nach seinem Amtsantritt 1985 immer wieder den Übergang zu ziviler Herrschaft angekündigt. Aber der Zeitplan wurde ständig hinausgezögert. Schließlich wurden zwei Parteien zugelassen und Wahlen für den 12. Juni 1993 angesetzt. Aber nachdem diese Wahl stattgefunden hatte, wurde sie von Babangidas Regime wieder annulliert. Der Sieger, Chief Moshood Abiola, sitzt noch heute im Gefängnis.

Der Grund dafür ist, daß General Babangida vorhatte, sein eigener ziviler Nachfolger zu werden. Seine Taktik ging nicht auf. Er ließ die Wahlen annullieren und installierte eine „Übergangsregierung“ unter dem im Ausland respektierten Chief Ernest Shonekan. Diese Regierung wurde im November 1993 von Sani Abacha gestürzt und alle demokratischen Institutionen Nigerias aufgelöst.

Nun verspricht Abacha, die Institutionen wieder einzuführen, die er selbst aufgelöst hat. Er scheut keine Mühe: Eine Verfassunggebende Versammlung wurde einberufen, die Leiter der für ihre Korruption bekannten staatlichen Banken vor Gericht gestellt sowie Maßnahmen gegen Drogenhändler und Finanzbetrüger wie beispielsweise strengere Devisenkontrollen ergriffen. Ebenso aufrichtig kam sich Abacha vor, als er im Oktober letzten Jahres die Rückkehr zu einer zivilen Republik für Oktober 1998 ankündigte.

Aber viele Nigerianer sind skeptisch. Zuerst hatte Abacha das Ende der Militärherrschaft für das Jahr 1996 in Aussicht gestellt. Dann änderte er seine Meinung. Um dennoch seine Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen, hob er in diesem Jahr zunächst das Parteienverbot auf. Eine Wahlkommission unter Jack Dagogo wurde gegründet und mit Vollmachten zur Registrierung politischer Parteien, zur Erstellung eines Wählerregisters und zur Einteilung von Wahlkreisen ausgestattet.

Inzwischen gibt es in Nigeria bereits rund 70 politische Formationen. 23 von ihnen schafften es, vor dem Stichtag 26. Juni die Bedingungen zur Antragstellung auf Registrierung als politische Partei zu erfüllen: eine Gebühr von 500.000 Naira zu zahlen und 40.000 Mitglieder in jedem nigerianischen Bundesstaat nachzuweisen.

Aber ein Blick auf die sich bildende Parteienlandschaft gibt zu Zweifeln Anlaß, wie pluralistisch das „neue Nigeria“ unter Sani Abacha sein wird. Es gibt viel zu viele Parteien mit völlig unterschiedlichen Programmen, was es dem Abacha-Regime leichtmachen wird, die meisten von ihnen per Dekret wieder abzuschaffen. Zweitens sind die Hürden für die Zulassung sehr hoch und nur für Organisationen mit beträchtlichen finanziellen Mitteln überwindbar. Drittens repräsentieren viele dieser Gruppierungen einzelne Stämme und können daher kaum eine nationale Rolle beanspruchen. Und letztlich wurden viele Gruppen von altbekannten Politikern gegründet, die schon in vielen Rollen in Nigeria aktiv gewesen sind und bewiesen haben, daß sie kein Interesse für die Probleme normaler Bürger in Nigeria haben. Wenn sie jetzt ihre Rückkehr auf die politische Bühne vorbereiten, dürfte das bei vielen Nigerianern Furcht auslösen.

Da wäre die „Nationaldemokratische Allianz“ (NDA) von Arthur Nzeribe – derselbe, der 1993 als Leiter des „Verbandes für ein besseres Nigeria“ (ABN) eng mit dem damaligen Militärherrscher Babangida zusammenarbeitete und schließlich die äußerst fragwürdige Verfassungsklage einreichte, die zur Annullierung der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 1993 führte.

Nzeribe ist ein Totengräber der nigerianischen Demokratie. Heute hat er die NDA gegründet, um nach eigenen Angaben die Interessen von Soldaten zu schützen. Armeesprecher Fred Chignuka war gezwungen zu dementieren, daß das Militär die NDA schütze.

Andere Parteien sind beherrscht von derselben nordnigerianischen muslimischen Oligarchie, die sich in der letzten Periode der Zivilherrschaft in Nigeria unter Präsident Shagari (1979 bis 1983) in der „Nigerianischen Nationalpartei“ (NPN) sammelte. Später, nachdem die Armee am Neujahrstag 1984 Shagari stürzte, mischte diese Gruppe im innersten Kreis der seitherigen Machtkämpfe unter den Militärs mit. Ein anderes Beispiel ist der „Nationaldemokratische Kongreß“ (NDC) unter Tanko Yussuf mit so bekannten Figuren wie Alhaji Adamu Ciroma, unter Shagari Industrie- und später Landwirtschaftsminister. Er wurde nach dem Sturz Präsident Shagaris durch die Militärs vor Gericht gestellt. Und dann wären da auch noch die „Progressive Partei Nigerias“ (PPN) von Alhaji Lamidi Adedibu oder der „Vereinigte Nigerianische Kongreß“ (UNC) unter Alhaji Sulaiman Takuma.

Der erste Ölminister unter Sani Abacha nach dessen Putsch im November 1993, Donatus Enweren, hat die „Nigerianische Zentrumspartei“ (NCP) gegründet, zusammen mit Sam Ogonbaire, der in der letzten Zeit Babangidas und unter Shonekan Informationsminister war. Umaru Dikko, in den frühen 80er Jahren Transportminister unter Shagari, der seiner Verhaftung nach dem Militärputsch von 1984 durch die Flucht nach London entging und den die nigerianischen Militärs versuchten in einer Frachtkiste nach Nigeria zu entführen, ist heute zurück im Land und leitet den „Nigerianischen Nationalkongreß“ (NCN).

Am bemerkenswertesten ist wohl der Fall von Alhaji Buka Mandara. Der reiche Geschäftsmann wurde 1983 nach einem Putschversuch gegen die damalige Zivilregierung von Präsident Shagari zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt. Heute leitet auch er eine Partei: die „Nationale Volkssolidaritätsallianz“ (NSPA). Er hat kürzlich an Abacha appelliert, auch nach 1998 an der Macht zu bleiben und sich ein Beispiel an Ghanas Präsident Jerry Rawlings zu nehmen. Der putschte sich 1982 als Fliegerleutnant an die Macht, ließ sich aber 1992 in freien Wahlen als ziviler Staatspräsident vom Volk bestätigen und kann bei den bevorstehenden ghanaischen Wahlen im Dezember dieses Jahres mit einem erneuten Sieg rechnen.

Es gibt sogar eine „General-Sani-Abacha-Bewegung für friedlichen Übergang“ (GESAM) unter Yoni Tokoya, die jedoch noch keine Zulassungspapiere von der Wahlkommission erhalten hat. Sie hat aber trotzdem ihre Absicht erklärt, unter Nigerianern um Unterstützung für Abacha zu werben.

In diesem Land der politischen Wiederauferstehungen könnte es gut sein, daß die nicht zugelassene GESAM sich demnächst als herrschende landesweite politische Kraft Nigerias etabliert. Tokoya ist ein enger Freund sowohl von Abacha als auch der früheren Babangida-Regierung. Aus denselben Gründen muß auch Arthur Nzeribes NDA genau beobachtet werden.

Es ist durchaus möglich, daß Abacha nun genau dasselbe macht wie General Babangida Ende der 80er Jahre: Zur Wahrung der nationalen Einheit könnte er die meisten dieser kleinen Parteien verbieten und neue gründen, denen sich all die alten Politiker dann anschließen können. Nicht auszuschließen ist, daß Abacha zwei Programme in Reserve hat, so daß, falls eines scheitert, das andere in Angriff genommen werden kann. Er möchte sich vom Chef einer verfemten Militärjunta zum Präsidenten eines anerkannten zivilen Staatswesens verwandeln. Wenn das nicht funktioniert, würde er trotzdem auch nach 1998 an der Macht bleiben. Das ist der Grund, warum die meisten Nigerianer an den von Abacha gesetzten Termin 1998 nicht glauben wollen. Getreu den Worten J.F. Kennedys: „Wer friedlichen Wandel verhindert, macht gewaltsamen Wandel unumgänglich.“