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Lieb Vaterland, sei ruhig

Mit Klaus Maria Brandauer, so hofft das piefkefeindliche Wien, könnte die Burg rückerobert werden. Jetzt hob er an, die Operette zu erneuern  ■ Von Uwe Mattheiß

Franz Lehárs Musik ohne Kitsch? Klaus Bachler, der neue Intendant der Wiener Volksoper, ist ein schlechter Mensch. Er nimmt den Hofratswitwen das Vergnügen an der Operette. Doch daß die musikalische Chinoiserie vom „Land des Lächelns“ nach zehn Spielzeiten eine Umdeutung erfährt, ist auch in Wien nur mäßig interessant. Zum Ereignis wird die Sache nur durch einen: Klaus Maria Brandauer ist aus den Höhen faustischer Einsamkeit herabgestiegen, um als Regisseur die Operette zu neuen Ufern zu führen.

Seit fünf Jahren hat sich Brandauer mehr oder minder von den Wiener Bühnen zurückgezogen. Um so größer wurde sein Einfluß auf das Theaterpublikum. Wenn Österreich träumt, ist Brandauer Burgtheaterdirektor und die Peymann-Schmach für einen Moment getilgt. Des Deutschen genüßlicher Grabenkrieg mit dem Wiener Bildungsbürgertum ist zwar nur noch Ritual, die Wirkung auf den nationalen Gefühlshaushalt aber bleibt ungebrochen. Gegen die vermeintlich kulturelle Hegemonie der „Piefke“ formiert sich immer wieder eine vaterländische Koalition mit wechselnden Beteiligten, unterbeschäftigten Burgmimen, Christdemokraten, „Freiheitlichen“ und dem Feuilleton.

Brandauer hält sich aus solchen Kabalen heraus und schweigt. Dennoch lasten alle Hoffnungen für eine Rückeroberung der nationalen Kulturinstitutionen auf seinen Schultern. Außer ihm sind alle heimischen Mitbewerber um Peymanns Posten nur in Wien „weltberühmt“. Brandauer hat sich dem politischen Diskurs nachhaltig verweigert, selbst dann noch, als falsche Freunde bedrohlich nah rückten und etwa der Anführer der „Freiheitlichen“, Jörg Haider, ihn zu seinem Wunschkandidaten für die Burg ausrief.

Durch sein Schweigen zwang Brandauer die Öffentlichkeit, seine Inszenierung als ästhetische Standortbestimmung um so deutlicher wahrzunehmen. Im Presserummel vor der Premiere geriet „Land des Lächelns“ unausgesprochen zu Brandauers theatralischem Manifest und wurde mit der Live-Ausstrahlung über 3sat zum Selbstdarstellungsprojekt der Kulturnation Österreich erhoben.

Zwar sitzt Peymann sicher auf seinem Posten, aber das Premierenpublikum war darauf gefaßt, Prognosen darüber zu wagen, was einem Theater blüht, das unter Brandauers Leitung gerät. Die „Renaissance der Wiener Operette“ sollte vor allem „Theater“ sein, die peinlichen Zwischenräume der klassischen Operette sollten zur Hauptsache werden. Brandauer hat das mit der hochkarätigen Besetzung von Sprech- und Nebenrollen (etwa durch Walter Schmidinger) unterstrichen.

Was Brandauer dann aber zeigte, war eine wunderliche Sammlung überinszenierter Einzelszenen, durchsetzt mit Zitaten der eigenen Karriere. Noch während der Ouvertüre wuseln die Hände des Dirigenten Asher Fish im Schattenspiel der aufgehenden Sonne herum wie die Silhouette eines Bond-Girls. Wenn Prinz Sou Chong im fernen China zu Amt und Würden gelangt, fährt die „Gelbe Jacke“ aus dem Bühnenboden, als wär's der „Mammon“ im Salzburger „Jedermann“-Spektakel. Lauter kleine Ballett-Chinesen machen entweder Tai-Chi oder werden von tanzenden Rotarmisten mit Peitschen verprügelt. So stellt man sich in Wien eine orientalische Despotie vor.

Selbst bei seinen Anhängern im Wiener Feuilleton ist Brandauer rabiat durchgefallen. Das einzig Neue an der „Neuen Operette“ in Wien war die Musik von Asher Fish. Er dirigiert Lehárs Musik ohne Schmalz und Schmelz, präzise wie eine Puccini-Partitur. Er entnazifiziert das „Land des Lächelns“ gleichsam von seiner Rezeptionsgeschichte, einem Werk, das den Kitsch- und Gefühlshaushalt der Kriegs- und Tätergeneration beherrschte wie kaum ein anderes. Ein Stück Gerechtigkeit für den Textdichter Fritz Löhner, dem seine Peiniger in Auschwitz bis in seinen Tod nie verziehen, daß er des Führers liebste Verse schrieb.

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