Alkohol, Freund der Keuschheit

■ „Das Wunder von Dublin“ – der satirische Roman von Mary Breasted treibt Spott mit allem, was den Iren heilig ist

Rupert Penrose, populärer Kolumnist der katholischen Zeitschrift Wachtposten will im Dubliner Stadtteil Rathgar gerade mit der Nachwuchs-Horoskopschreiberin Attracta Dorris ein Schäferstündchen abhalten, da passiert, was im wirklichen Irland angeblich häufig geschieht: Die Jungfrau Maria fährt hernieder.

Rupert rührt kein Glied mehr, und Attracta muß im Schrank verschwinden, ist doch Bischof Meany auf dem Weg zu Penrose. Der will dem einflußreichen Geistlichen schmeicheln, damit er ihm behilflich sei, den Kerrygold-Lehrstuhl für Literatur zu bekommen. Die gebenedeite Jungfrau, zu der Tag und Nacht Pilgerscharen strömen, zieht in Donal McGaffneys Garage in Foxrock um. Der Baunternehmer steckt in argen finanziellen Nöten und will einem alten Freund einen Gefallen tun. Der LKW- Transport des Plastiksprengstoffs Semtex für die IRA mißlingt jedoch. Die Jungfrau Maria macht ein Parken des Lasters bei McGaffneys Haus unmöglich, aber ein Polizist bietet sich an, den Wagen über Nacht auf einem Polizeigelände zu parken. Von dort verschwindet der Transporter samt seiner brisanten Ladung. McGaffney sitzt in der Patsche.

Die katholische Geistlichkeit nicht minder, erwartet die Öffentlichkeit doch eine Stellungnahme der Kirche, ob die Marienerscheinung ein authentisches Wunder ist. Doch der päpstliche Nuntius, Padre Destino, trinkt lieber Whiskey, liest im „Ulysses“ oder bespricht mit Pater Liam die Verlockung des Fleisches: „Ohne Agnes“, gesteht Father Liam, „hätte ich durchgedreht, hätte angefangen, mir Chorknaben oder Schafe zu greifen.“ Mit seiner Haushälterin hat er es jedoch schon lange nicht mehr, schließlich ist „der Alkohol der Freund der Keuschheit. Was glauben Sie, warum er hier so allgemein akzeptiert wird?“ Die Frage des Nuntius, ob denn alle Iren vom Sex besessen seien, verneint Pater Liam: „Manche von uns bevorzugen den Haß.“

Breasteds Satire macht auch vor der irischen Küche nicht halt: „Für Fleisch- und Kartoffelesser war es ein Schlaraffenland.“ Und selbst Dublins frauenbewegte Damenwelt bleibt von Ironie ebenfalls nicht verschont.

Ein Besuch der amerikanischen Vizepräsidentin Honoria Houlihan, wegen des verschwundenen Semtex-Lasters eine brenzlige Angelegenheit, treibt die Dinge auf die Spitze. Houlihans Back-to-the- Roots-Trip ist in Dublin nicht gerne gesehen, widersprechen ihre Ansichten doch der irisch-katholischen Moral. Der Besuch steht also unter denkbar schlechten Vorzeichen. Während des Fluges erleidet Honoria wegen ihres zu ausgelassenen Yoga-Gebieges im Flieger einen Bandscheibenvorfall. Der einen Leid ist des anderen Freud, sagt sich der Expremierminister am Dubliner Flughafen und springt zu Honoria, die auf einer Bahre aus dem Flieger gehievt wird, in den Krankenwagen, vorbei am CNN-Team und den Anti-Abtreibungs-Plakaten. Ein Sprung mit Folgen: die Regierung stürzt.

Derweil ist die Immaculata von einem schrottreifen Mercedes gehüpft und schließlich in der Küche einer Protestantin erschienen. Doch das Wunder klärt sich auf: Ein Fahrrad, das in der Nähe des einstigen Wohnortes vom vielnamigen Chamäleon unter den Dubliner Dichtern, Flann O'Brien, gefunden wird, ist Teil der Erklärung für das Auftauchen der Jungfrau. Vermutlich ist es eines der Fahrräder aus O'Briens Roman „Der dritte Polizist“.

Die ausgelassene Komik dieser furiosen Satire allerdings bleibt, solcher Hommage zum Trotz, Mary Breasteds ganz eigene Leistung. Jürgen Schneider

Mary Breasted: „Das Wunder von Dublin“. Aus dem Englischen von Martin Richter. Haffmans Verlag, 316 Seiten, geb., 36 DM