Ist der Krieg jetzt zu Ende?

Deutsche Spurensuche: Hugo Hamiltons „Kriegsliebe“  ■ Von Gabriele Alioth

Wie beendet man einen Krieg, fragt sich Bertha Sommer im Mai 1945, während sie auf Befehl des Hauptmanns die Akten einer Wehrmachtsgarnison in Böhmen verbrennt. Zusammen mit dem Offizier Franz Kern flieht Bertha in den Wochen darauf vor den einmarschierenden russischen Truppen durch das Sudetenland in die zerstörte Heimat zurück.

Dreißig Jahre später beginnt der Erzähler in Hugo Hamiltons Roman „Kriegsliebe“, diesen Ereignissen nachzuspüren, auf der Suche nach dem Ort, an dem der letzte Schuß des Zweiten Weltkriegs fiel. Parallel zur Geschichte von Bertha Sommer und Franz Kern, die sich auf ihrer Flucht verlieben, sich zum Schluß aber trennen, berichtet er von eigenen Erlebnissen als ausländischer Student in Deutschland zur Zeit der Wende, von den Versuchen der Gegenwart, einen Krieg zu beenden, und einer Liebesgeschichte der 80er Jahre, in der er stets der Dritte ist.

Schon lange, sagt Hugo Hamilton, habe er sich mit der Geschichte seiner Mutter beschäftigt, die derjenigen Bertha Sommers gleiche. Hamilton selbst ist als Sohn einer deutschen Mutter im Irland der fünfziger Jahre aufgewachsen. Er erinnert sich an die „Nazi“-Rufe anderer Kinder und an das Bemühen seines irischen Vaters, besonders irisch zu sein. Erst durch das Schreiben habe er die verschiedenen Einflüsse seiner Jugend für sich zu seinem Leben zusammenfügen können. Die Mehrzahl der Bücher des heute in Irland lebenden Autors spielten bisher in Deutschland (eines davon auch in der Redaktion einer sogenannten tageszeitung in Berlin).

Aus der Sicht des mitbetroffenen Außenstehenden beschreibt Hamilton die deutsche Vergangenheit und Gegenwart mit jenem wohltuenden – irischen – Mangel an Verbissenheit. Auch dort, wo er Stellung bezieht, werden seine Geschichten niemals zu politischen Traktaten, und die Nüchternheit seiner Sprache verstärkt die Spannung der beiden Berichte, die sich im Verlauf des Buches zu ergänzen beginnen und sich am Ende auf unvermutete Weise verknüpfen. Geschichten zu erzählen, meint Hamilton, sei in Irland aus der historischen Notwendigkeit entstanden, sich immer wieder neu zu erfinden, den eigenen Standort in der Welt zu bestimmen, und manchmal scheine ihm Irland überhaupt nur ein Platz in der Phantasie zu sein, da das reale, wirklich existierende Irland gar nie zur Kenntnis genommen werde. Auch in Deutschland halten sich nach seinen Erfahrungen hartnäckig die von Böll entworfenen romantischen Vorstellungen von der Grünen Insel und den singenden Iren. Im Wunsch, diesen Erwartungen zu entsprechen, verkommen manche in Deutschland arbeitenden Iren zu eigentlichen Karikaturen und Dubliner Pubs zu einer Art „Jurassic Park“ für die trinkfreudigen literarischen Größen der Vergangenheit. Hamilton versteht sich auch als Deutscher. Gerade daß er nicht in Deutschland lebe, ermögliche es ihm, über Deutschland nachzudenken.

In „Kriegsliebe“ wie auch in anderen Hamilton-Büchern ist es ein Kind, das die Situation der Erwachsenen zum Schluß klärt. Das, meint Hamilton, sei wohl eher irisch.

Könnte Hamilton sich vorstellen, von dem phantastischen Irland in das realistische Deutschland zu ziehen? „Mir war das Leben in Deutschland stets etwas unbehaglich. Es fehlen die Schatten, die Wunderlichkeiten der irischen Gesellschaft. Ordnung ist in Deutschland ein Wert an sich, und das widerspricht nicht nur meinen eigenen Ansichten, sondern auch der irischen Erziehung. Ich mag Zufälle, Fehler, ich mag Verlierer, ich habe nicht gern, wenn alles nach Plan verläuft. Im Grunde ist es genau wie beim Fußball. Ich kann nicht wirklich für die Deutschen sein, denn sie werden gewinnen. Dagegen ist es viel einfacher, Irland zu unterstützen, denn es ist möglich, daß sie es schaffen, daß sie sich vielleicht qualifizieren. Das öffnet ein weites Feld von Glück und Zufall ...“

Hugo Hamilton: „Kriegsliebe“. Roman. Aus dem Englischen von Elke Kipphardt und Barbara Wöste. Steidl, 256 Seiten, 34 DM