: Ohne Leitartikelprosa
■ Das tägliche TV-Feuilleton "Kulturzeit" auf 3sat feiert seinen ersten Geburtstag
Als im Oktober vergangenen Jahres 3sat mit neuer Programmstruktur, neuem Design und neuen Sendeplätzen auf Sendung ging, hing dem Gemeinschaftsprogramm von ARD, ZDF, ORF und SF/DRS der Ruf eines etwas blassen Intellektuellenkanals an. 3sat – das war für viele ein Programm für Geisteswissenschaftler, die ihre Portion TV-Weiterbildung und kulturelle Erbauung komprimiert genießen wollten. Mit neuem, schickem und buntem Logo ging der Sender in die Offensive, neues Flaggschiff sollte „Kulturzeit“ werden, ein tägliches 40-Minuten-Kulturmagazin, das aktuell und übergreifend berichtet. Die anfängliche Skepsis, ob das ohne ein schematisches Abfeiern von Opern- und Theaterpremieren zu leisten ist, schwand schnell.
Die Redaktion kann sich sowohl auf das öffentlich-rechtliche Korrespondentennetz stützen als auch die Beiträge anderer Sendungen übernehmen: So findet sich das Beste aus dem „Kulturweltspiegel“ zwei Tage später in „Kulturzeit“ wieder. Daneben bleibt aber noch viel Raum für exklusive Eigenproduktionen. Den Spagat zwischen einem TV-Feuilleton für Kulturintellektuelle und einem Magazin für ein möglichst breites Publikum leisten die Macher mit einem Themenspektrum, das den Kulturbegriff soweit als möglicht faßt: Neben klassischer, bildender und Bühnenkunst, E- und U-Musik, Literatur und Architektur wirft „Kulturzeit“ den inzwischen beliebten Blick in die Alltagskultur – vom Internet über Graffiti bis zum Schlagertrash. Über wichtige Premieren oder Uraufführungen wird meist bereits am Vortag berichtet, flankiert von Kulturnachrichten und Veranstaltungstips aus den unterschiedlichsten Sparten.
Besonders kennzeichnend für „Kulturzeit“ sind jedoch die Beiträge, die das aktuelle politische Geschehen aus kulturpolitischer und sozialer Perspektive betrachten – ob die Situation in Südafrika, Asien, Rußland oder Exjugoslawien. Eine Ausnahme in Zeiten des Kulturrummels, der den Blick zwanghaft auf einige wenige Ereignisse fokussiert.
Bei „Kulturzeit“ ist der stete Wechsel des Blickwinkels dagegen Programm: So dürfen in regelmäßigen Abständen „ganz gewöhnliche“ Kinobesucher die neu gestarteten Filme beurteilen, stellen Kritiker Buchneuerscheinungen in ausführlichen Gesprächen mit dem Moderator vor, ohne dabei in den Selbstdarstellungsdrang eines „Literarischen Quartetts“ zu verfallen. Das Moderatorentrio Andrea Schurian (Österreich), Karin Müller (Schweiz) und Gerd Scobel (Deutschland) setzt konsequent auf kritische Kompetenz, befragte etwa Ignatz Bubis zu Peter Sichrovskys politischer Bandelei mit Jörg Haider oder den Dalai Lama zur Situation in Tibet.
Das beweist, daß es in Zeiten des Infotainments durchaus möglich ist, einen Kulturbegriff zwischen Unterhaltung und Politik täglich neu zu bestimmen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren oder in Leitartikelprosa zu verfallen. Zum einjährigen Jubiläum von „Kulturzeit“ wird heute das Kronos Quartet spielen, und via Satellit wird Beat-Poet Allen Ginsberg zugeschaltet und seine Texte rezitieren. Axel Schock
„Kulturzeit“, montags bis freitags, 19.20 bis 20 Uhr, 3sat. Wiederholungen nachts und am nächsten Morgen um 9 Uhr
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