Kampf gegen Einwanderer

Ein Gesetz gegen Migration passiert den US-Senat – viele Einwanderer reagieren, indem sie sich baldmöglichst einbürgern lassen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Szene erinnert an einen Massengottesdienst. 10.000 Menschen haben sich in einem Sportstadion versammelt, halten andächtig die rechte Hand hoch und schwören jeder Loyalität zu einem „fremden Prinzen, Machthaber, Staat oder Souverän“ ab. Wenig später zerdrücken sie ein paar Tränen und halten jene Urkunde in der Hand, die sie nunmehr als Staatsbürger der USA ausweist.

Einbürgerungszeremonien sind in den letzten Monaten zu gigantischen Veranstaltungen geworden, für die Sportstadien oder Kongreßzentren angemietet werden müssen: 10.000 ImmigrantInnen leisteten den Eid an einem Tag in Dallas, 12.000 im kalifornischen San José, 6.000 in Houston. 1,1 Millionen Einwanderer haben im Haushaltsjahr 1996, das am 30. September zu Ende ging, die US-Staatsbürgerschaft angenommen. Der bisherige Rekord aus dem Jahr 1995 lag bei rund 446.000 Einbürgerungen. So hoch wie nie zuvor in der US-Geschichte türmen sich bei der Einwanderungsbehörde die Staatsbürgerschaftsanträge. Hauptmotiv der meisten US-Bürger in spe: Angst.

Ein zunehmend immigrantenfeindliches Klima sowie eine Serie von Gesetzen gegen illegale wie legale Einwanderer und Flüchtlinge hat den Sturm auf die Einbürgerungsabteilungen ausgelöst. Am Montag verabschiedete der US- Senat im Rahmen des Gesamthaushaltes für das Jahr 1997 eine Gesetzesvorlage, die den Rechtsweg für Asylbewerber beschneidet, die Abschiebung illegaler Immigranten beschleunigt, die Zahl der Grenzpolizisten verdoppelt und den Ausbau von Stahlzäunen an der US-mexikanischen Grenze vorsieht. Das Repräsentantenhaus hatte eine entsprechende Vorlage bereits letzte Woche verabschiedet. Präsident Bill Clinton hat seine Unterschrift angekündigt, um in letzter Minute die fortlaufende Finanzierung der Bundesbehörden zu sichern.

Nun gibt es unter den derzeit rund zehn Millionen legalen Einwanderern in den USA viele, die ein schärferes Vorgehen gegen Illegale durchaus begrüßen. Doch entsprechende Gesetzesvorhaben wurden im Kongreß immer wieder mit restriktiven Maßnahmen auch gegen legale Einwanderer verknüpft. Nur dem Widerstand von Clinton und der Angst der Republikaner, für eine erneute Schließung der Bundesbehörden verantwortlich gemacht zu werden, war es zu verdanken, daß die radikalsten Passagen aus dem Einwanderungsgesetz gestrichen wurden: Die Deportation aller legalen Einwanderer, die in den letzten sieben Jahren länger als zwölf Monate Sozialhilfe bezogen haben; die Streichung aller Bundesmittel für HIV- infizierte Immigranten; sowie die Erlaubnis, die Kinder illegaler Immigranten von öffentlichen Schulen zu verweisen. Letzteres war 1994 in einer Volksabstimmung unter dem Titel „Proposition 187“ im Bundesstaat Kalifornien von einer Mehrheit gebilligt worden. Das Gesetz tritt jedoch aufgrund einer gerichtlichen Anordnung bis auf weiteres nicht in Kraft.

Während die hitzige Debatte um „Proposition 187“ viele legale Einwanderer erstmals aufschreckte, sorgte die Verabschiedung der sogenannten Sozialhilfereform bei vielen für regelrechte Panik: Ein großer Teil der geplanten Kürzungen in Höhe von 55 Milliarden Dollar soll in den nächsten sechs Jahren bei den Hilfsleistungen für Immigranten zusammengestrichen werden.

Seit August diesen Jahres haben die meisten Einwanderer, die bislang aufgrund von Armut oder Behinderung Lebensmittelmarken und Sozialhilfe erhielten, keinen Anspruch mehr auf bundesstaatliche Leistungen. Ab dem 1. Januar 1997 ist es den Bundesstaaten freigestellt, Sozialhilfe, staatliche Krankenversicherung, Gesundheitsvorsorge und Beratungsstellen für Einwanderer zu streichen. Clinton versprach zwar, die Streichungen im Fall seiner Wiederwahl rückgängig zu machen. Doch offensichtlich wollen sich viele der Betroffenen darauf nicht verlassen: Sie beantragen lieber die Staatsbürgerschaft.

Dem Präsidenten kann es nur recht sein. Frisch vereidigte US- Bürger machen von ihrem Wahlrecht überdurchschnittlich viel Gebrauch – und neigen zumindest in den ersten Jahren eher den Demokraten als den Republikanern zu. Was wiederum gar nicht deren Kalkül entsprach, als sie jene Gesetze auf den Weg brachten, die maßgeblich zur größten Einbürgerungswelle in der Geschichte de Landes beitrugen.

Kommentar Seite 10