„Na dann, Prösterchen“

■ Im Jungen Theater: Werner Schwab hat mit „Die Präsidentinnen“ ein Fäkaldrama fast Büchnerschen Ausmaßes geschrieben / Regisseur Knapp spart nicht mit Deftigkeiten

Original nur mit der 100-prozentigen Albtraum-Garantie. Wenn Präsidentinnen Kinder zur Welt bringen, dann potenziert sich das Grauen. Sohn Hermann: ein Symptom. Augenkrebs fürchtet er beim Anblick des eigenen Spiegelbildes zu bekommen - und schneidet sich blind mit dem Rasiermesser das Gesicht auf. „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab könnten jedem Verein vorsitzen, solange er nur seine Geschäftsordnung auf die kollektiven Neurosen gründet. Analfixierung, erzkatholische Religiosität und eine Portion Sexualverdrängung scheinen bei den Protagonistinnen jedenfalls mehrheitsfähig. Erna, in Kittelschürze und Pelzkappe, ist dem Schnäppchenrausch und Sonderangebotswahn völlig verfallen. Spart sich selbst ins Grab. Grete hingegen schwärmt unter ihrer Drei-Wetter-Taft-Hochfrisur noch vom feschen Musikanten. Und Mariedel, mit Damenbart und Springerstiefeln, spielt die Rolle der blöden Klofrau, und rühmt sich Heldentaten unter Sanitärhandwerkern zu vollbringen. Ihre Spezialität: Toilettenverstopfungen werden umgehend beseitigt, auch ohne Hilfsmittel und Gummihandschuhe.

Doch Schwabs Sicht auf die Welt erschöpft sich nicht in der Erfindung schriller Figuren. Zwar hat der 1958 in Graz geborene Autor als der shooting star des deutschsprachigen Theaters in den letzten vier Jahren vor seinem Tode 1994 in einem Produktionsrausch noch 13 Stücke geschrieben, doch die Brillanz ist damit nicht erklärt.

Offensichtlich wird sie erst bei einem Abend mit den „Präsidentinnen“. Denn selbstverstrickt wie in die eigenen Defizite und Neurosen sind die Protagonistinnen auch in die Sprache. Stück um Stück dreht sich die Schraube ihrer Wahnvorstellungen enger und produziert einen kunstfertigen Irrgarten aus Sprachgestrüpp. Gemeinplätze und Platitüden legen durch Verdrehung oder falsche Verwendung hinter der Maske Wahrheiten bloß. „Es geht darum, daß man etwas, was sowieso zur Verfügung steht, einfach aufladet, bis es halt irgendwie explodiert - möglichst jedes Ding innerhalb von einem Satz“, heißt es bei Werner Schwab. Mariedel, Einzelgängerin und die Heldin der verstopften Toiletten, weiß, wie ihre harmoniesüchtigen Zeit- und Bühnengenossinnen funktionieren. Doch statt eines irgendwie psychologisch motivierten Angiffs formuliert sie ihren schrulligen Grimm auf sprachverdrehte Weise: „Die Menschen müssen immer eine Nächstenliebe auf dem laufenden halten.“ In Schwabs Stücken kommt die Erkenntnis nicht elegant, sondern kantig daher. Und je grundsätzlicher die Wahrheiten sind, desto mehr klingt Schwab nach Büchner: „Das Geschlechtliche ist immer verheerend für die Menschen.“

Und man hört es auch. Denn das ist das Schöne an Ralf Knapps Inszenierung im Jungen Theater: Seit der neue Hausregisseur in der Friesenstraße arbeitet, werden auch die Eigenproduktionen wieder interessanter. „Die Präsidentinnen“ leben von einer äußerst präzisen Regiearbeit mit den Schauspielerinnen. Auf der schiefen Ebene des Bühnenbildes inmitten von neun Marienfiguren, einem aufklappbaren Weihnachtsbaum und einem Resopalküchentisch agieren zusehends immer sicherer drei Schauspielerinnen in ausgewählt grauenvollen Kleidern. Doch so erschreckend die Neurosen sind, die bei diesem Damenkränzchen mit dem Fernsehsegen des Papsts zutage treten, werden sie ausgelebt, triumphiert kichernde Erleichterung. Unter dem Motto „Prösterchen“ steigern sich die drei vom Witwenball zum kollektiven Kollaps: Erna, von Marion Freundorfer konsequent verkniffen gespielt, stürzt ab aus der Hoffnung, den Schlachter Wotilla zu heiraten. Auch die lebenslustige Grete muß sich die Hoffung auf den herbeigewünschten Tubaspieler abschminken wie den billigen Lippenstift, den sie im Gesicht trägt. Nomena Struß füllt selbst den schwerlastenden Busen des Kostüms mit hinreißend komischer Energie. Nur die Mariedel bleibt sich treu, Liz Hencke spielt sie mit solch nervösen Zuckungen im Gesicht, daß sie sich auf ein spätes Glück an der Seite eines Mannes nie Hoffnung machen konnte. Der Zuschauer allerdings sehr, auf weitere wagemutige Inszenierungen im glücklich geretteten Jungen Theater. Susanne Raubold

bis 6.10., dann 28.-30.10. und vom 6.-8.11., um jeweils 20.30 Uhr.