Alles Osten, oder was?

Es gibt keinen Westen mehr, das ganze Land ist Osten. Nie war das deutlicher zu spüren als in diesen Tagen. Die zehn Fragen, die die Welt erschüttern: Gibt's im Osten jetzt schon Telefon? Warum jammern die Ostdeutschen eigentlich den ganzen Tag? Braucht der Osten noch mehr Geld aus dem Westen? Warum jammern die Ostdeutschen eigentlich den ganzen Tag? Gibt es ein neues Selbstbewußtsein im Osten? Warum jammern die Ostdeutschen eigentlich den ganzen Tag? Was ist Osttrotz? Warum jammern die Ostdeutschen eigentlich den ganzen Tag? War früher alles besser? Warum jammern die Ostdeutschen eigentlich den ganzen Tag? Nichts zu tun, oder was?

Als Zugabe will Roman Herzog im Fernsehen von aufrechten Bürgerrechtlern wissen, woher sie im Herbst 1989 ihren Mut nahmen. Also fragt er: Woher nahmen Sie im Herbst 1989 eigentlich Ihren Mut? Gute Frage. In der Fernsehansprache zum Tag der deutschen Einheit heißt es sogar: „Unser Ansehen in der Welt verdanken wir nicht zuletzt jenen mutigen Männern und Frauen, die im Herbst 1989 in der DDR für die Freiheit demonstrierten.“ Diesen Satz verdanken wir nicht zuletzt unserem Bundeskanzler. Die entscheidende Frage aber bleibt unbeantwortet: Wer ist das – der Osten?

Nachdem jetzt raus ist, daß Stephan Hermlin gar nicht Stephan Hermlin ist, gibt es auch berechtigte Zweifel daran, daß der Osten überhaupt der Osten ist. Aber wer ist er dann? Der Westen?

Gregor Gysi hat vor ein paar Tagen enthüllt, daß der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gar nicht richtig beschlossen worden ist. Beschlossen hätten die Abgeordneten den Wortlaut: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes ...“ Erst hinterher sei dem Volkskammerpräsidium aufgefallen, daß gerade die Volkskammer, aber nicht die DDR der Bundesrepublik beigetreten war. Also seien hinter dem Wort „Beitritt“ heimlich die Worte „der DDR“ eingefügt worden. Der Rechtsstaat hat das letzte Wort: Der Osten ist die DDR. Sie lebt. Jens König