Wie Kornfelder in sattem Gelb

■ Im Horner „Hexenhaus“ erschafft Gerda Henning absolute Farblandschaften / „Caspar David Friedrich des 20. Jahrhunderts“ / Jetzt zu sehen in der Städtischen Galerie im Buntentor

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er Zollstock ist dabei, als Gerda Henning ihre Bilder in der Städtischen Galerie im Buntentor hängt. Exakt auf Augenhöhe, so will es die 73jährige. Ergebnis der Feilscherei um Zentimeter ist schließlich eine ausgewogene Präsentation in der alten Remmer-Brauerei in der Neustadt. Zwischen den gußeisernen Stützen sind ab Samstag abend einig wenige der meditativen Gemälde zu sehen. Ein Drittel hatte Gerda Henning in letzter Minute aussortiert: „Meine Bilder sind Einzelstücke“, sagt die Kompromißlose, „und die wirken nur, wenn sie genug Luft haben.“

Die jüngsten Arbeiten der alten Dame sind dynamisch bewegte Pinselbilder. Mit Gelb, Grün, Rot und Blau legt sie absolute Landschaften an, die nur noch Farbe und Dynamik sind. Dabei benutzt sie immer häufiger ungebrochene Farben, die in der Natur nicht vorkommen. Mit 73 hat sie keine Angst mehr vor knalligen Farben.

Stets wirken die Spuren der Pinselstriche organisch gerundet. An Kornfelder aus der Vogelperspektive erinnern einige ihrer kreisenden Farbkompositionen, andere an den durchwühlten Boden des Wattenmeers. Gerda Henning lächelt irritiert. Sie selbst hat solche Assoziationen nicht.

Von der Gegenständlichkeit hat sich die Frau aus Ostpommern, die in Berlin und nach dem Krieg bei dem abstrakten Maler Willi Baumeister in Stuttgart studiert hatte, seit langem losgesagt. Vorbei die Zeit, als sie ein Kritiker der Bremer Nachrichten wegen ihrer düsteren Landschaftsbilder als „Caspar David Friedrich des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hatte. „Sie ist von den älteren Künstlerinnen und Künstlern in der Stadt“, lobt Hans Joachim Manske von der Bremer Kulturbehörde, „die einzige, deren künstlerischer Beitrag aktuell geblieben ist.“ Heute legt sie Farbschicht über Farbschicht, bisweilen 30 übereinander. „Meine Bilder sind gewachsen und dadurch enorm schwer“, erzählt die Malerin in ihrem „Hexenhaus“ im Bremer Stadtteil Horn, wo sie konzentriert ein Quadrat nach dem anderen erschafft. Meist läßt sie sich durch die fließende Musik von Bach und Vivaldi inspirieren, Beethoven ist ihr zu ungleichmäßig. Doch was ihr nicht gefällt, wird Wochen später hemmungslos übermalt. Solange, bis ein wahres Relief aus Ölfarben entstanden ist. So dick, daß man darüber mit den Fingern streichen möchte.Diese Fleißarbeit ist so zeitaufwendig, daß die Einzelgängerin gerademal eine Handvoll ihrer faszinierend konsequenten Farb-Quadrate pro Jahr malt. Und die müssen gewissenhaft gehängt werden. Denn obwohl die metergroßen Kompositionen einzig aus Gekribbeltem, Linien und Punkten bestehen, gibt es durchaus oben und unten, rechts und links. „Wenn Sie das Bild drehen“, sagt sie streng, „rutscht der Schwerpunkt in den Keller.“ Selten gönnt sie sich während der Ausstellungsvorbereitung in der Städtischen Galerie eine Pause. Kaffee wird dann eingegossen, eine Zigarette angezündet, Diskussionen um die Einordnung ihrer Kunst beginnen. Abstrakte Kunst? Die Künstlerin schüttelt den Kopf. Damit verbindet sie Picasso, der Gegenstände abstrahiert hat. Gerda Henning hingegen geht nicht vom Gegenstand aus, sondern von Pinselstrich und Farbenergie. Ihre Arbeiten ordnet sie der konkreten Kunst zu, obwohl bei ihr nichts berechnet oder konstruiert ist. Doch letztendlich verwirft die zierliche Frau jegliche Definition. „Was man in eine Schublade stecken kann, ist nicht mehr aktuell.“

Sabine Komm

Bis 20. 10., Katalog. Am Montag, 7. 10., bringt Radio Bremen 2 um 21 Uhr in der Reihe „Künstler in der Region“ ein Porträt von Gerda Henning: „Vom Geheimnis hinter den Dingen“