Banale grande

■ Wo früher "ZAK" war, wärmt Knatterton-Darsteller Dieter Moor in "EX!" alte Schlagzeilen auf (So., 22.30 Uhr, ARD)

Meiser macht es, Schreinemaker macht es, Wontorra und Uli Meyer sowieso, und jetzt macht es auch noch Dieter Moor: Nämlich die Geschichten hinter den Schlagzeilen zu suchen.

Doch während dieses scheinbar investigative Unterfangen bei Sat.1 und RTL vor allem darin besteht, sich möglichst nah an die Trauer von Vergewaltigungsopfern heranzuzoomen, kramt Dieter Moor Geschichten und zugehörige Protagonisten aus dem Archiv, bei denen die Tränen längst versiegt sind. Die Schlagzeilen, die er auf dem ehemaligen „ZAK“- Sendeplatz am Sonntagabend auftischt, haben das Verfallsdatum schon so lange hinter sich, daß sie fast schon wieder frisch sind.

Aber eben nur fast. Denn „Ex!“ erliegt dem Irrglauben, daß alte Kriminalfälle nur deshalb noch nicht abgefrühstückt sind, weil sie damals niemand löste. Doch der wahre Mörder der 50er-Jahre- Edelnutte Rosemarie Nitribitt interessiert ehrlich gesagt doch heute kein Schwein mehr. Es sei denn, Moor könnte nachweisen, daß seinerzeit Ludwig Erhard der Würger war.

Das kann er aber nicht, und deshalb werden mit wackeliger Kamera alte Bild-Fotos abgefilmt und der Reihe nach ein verquollener Lokaljournalist, ein seniler Nachbar und eine dröge Sozialwissenschaftlerin vernommen, die schwer auf oral history machen. Nicht zu vergessen Bill Ramsey, der anscheinend noch heute sauer ist, daß ihm die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe damals sein Sixpack wegsoff und stundenlang das Bad blockierte. So schindet man Sendezeit.

„Oft sind es gerade diese alten Geschichten, mit denen sich persönliche Erinnerungen verknüpfen“, glaubt der produzierende SDR, der anscheinend davon ausgeht, daß viele seiner ZuschauerInnen bereits über 100 sind oder aus alten Bergarbeiter-Familien stammen, denen das Grubenunglück von Lengede noch heute an die Nieren geht. Für den Rest ist der zweite Teil von „EX!“ ein zähes Stück Heimatkunde, bei dem man allenfalls darüber staunt, daß die Reporter damals noch Notizblock und Bleistift im Hutband trugen.

Bei derart staubiger und todernster Materie erweist sich auch Moors Unentschiedenheit zwischen (ihm eigener) hintergründiger Ironie und (ihm fremder) ernstgemeinter Aufarbeitung als größtes Manko: Eben noch hampelt der Schweizer wie aufgezogen vor der Handkamera rum, schon tremoliert seine Stimme von neun Leichen im Bergwerk. Anschließend geht's dann wieder launig weiter mit den nackten Flitzern aus den Siebzigern. Arbeitsmotto: Banale grande.

Einmal wird „EX!“ sogar von einem Werbeblock unterbrochen, ebenfalls von anno dazumal, im Gegensatz zum Rest allerdings durchaus sehenswert. Denn angesichts der halbgesungenen Schüttelreime zum Thema Transpirationsstopp durch 8mal4 und Alkohol in der Zahnpasta macht der TV-Kampf wider das Vergessen zum ersten Mal Sinn.

Man kann der Redaktion allenfalls ihren Fleiß zugute halten und daß sie auf ihrem Dauertrip durch die Archive so manche Schrulle aufgespürt hat: Zum Beispiel den Fall der bayrischen Zahnarztpraxis, in der der sogenannte „Chopper“ den Patienten durchs Spuckbecken Sauereien zuraunte. Ansonsten aber gilt es, um den schönen Sendeplatz zu trauern und um Dieter Moor, der gerade als Moderator von „Canale Grande“ bewiesen hat, daß er eigentlich mehr draufhat, als alte Schlagzeilen aufzuwärmen und wie geplant demnächst den Knatterton zu mimen. Aber anstatt das Medienmagazin wiederzubeleben, setzt das Erste auf ein totes Format. „Ex!“ wird seinem Namen wohl bald alle Ehre machen. Oliver Gehrs