Abgerissen, aufgeteilt, am Ende

Beim Magdeburger Maschinenbaukonzern SKET wird saniert, bis nichts mehr übrigbleibt. Von ehemals 13.000 Beschäftigten sollten wenigstens 1.200 ihren Job behalten dürfen. Denkste.  ■ Von Jens Schmidt

„Von der Gewerkschaft sin' Se?“ Der Pförtner der Wachfirma steckt den graumelierten Kopf durch die Luke und winkt vorbei. „In Ordnung. Dann wissen Se ja, wo der Betriebsrat sitzt.“ Mit diesem Trick öffnen sich die Werkstore des SKET, des größten ostdeutschen Maschinenbauunternehmens.

Zwischen den Hallen, eingezäunt und gut behütet, ballt ein Bronze-Thälmann die rechte Hand kämpferisch zur Faust. Der KPD-Chef hatte dem 1969 gegründeten Kombinat den Namen gegeben. Der letzte, inzwischen geschaßte Geschäftsführer des SKET, hatte die Statue – nach ein paar Jahren Zwangseinlagerung – 1994 wieder aufstellen lassen. Umsonst. „Mit Speck fängt man Mäuse“, winkt Renate Mebes ab, „nicht einen einzigen Arbeitsplatz hat das Denkmal gesichert.“

Renate Mebes ist 48 Jahre, eine zierliche Frau mit Dauerwelle. Ihr Zimmer in der Betriebsratsbaracke bedient alle Klischees: Ein paar alte Sprelacart-Tische, ein paar durchgesessene Polsterstühle, made in GDR. Aber eigentlich stört das Renate Mebes nicht, es ist ihr sogar egal. „Manche sagen, ich hätte eine Kodderschnauze, und sie haben recht.“ Renate Mebes arbeitet kräftig daran, daß sie – wird sie irgendwann einmal gekündigt – nie wieder einen Job bekommt. Bei SKET ist sie die Frau, die die Schilder für die Demos malt. Solche mit den aggressivsten Sprüchen trägt sie selbst.

Mit einem ihrer schönsten Plakate platzten sie und ein paar Kollegen vor zehn Tagen in die Aufsichtsratssitzung bei SKET. „BvS und Geschäftsleitung: Du mußt ein Schwein sein!“ stand darauf.

Einst war das Schwermaschinenbaukombinat „Ernst Thälmann“ das Flaggschiff des ostdeutschen Maschinenbaus mit 30.000 Beschäftigten republikweit. Nachdem die Treuhand das Unternehmen privatisiert hatte, mußte gleich der Staatsanwalt ermitteln. Die neuen Westeigentümer standen im Verdacht, Unternehmensgelder veruntreut zu haben. Die BvS kündigte den Privatisierungsvertrag und übernahm SKET erneut.

Seitdem kommt das Unternehmen nicht zur Ruhe. Von den ehemals rund 20 Betriebsteilen produziert nur noch das Magdeburger Stammwerk. Dort sollte – so hieß es im Sanierungskonzept vom Frühjahr 1996 – die Belegschaft bis Ende nächsten Jahres auf 1.171 reduziert werden. Doch seit drei Wochen ist auch dieses Konzept nur noch Makulatur. Die BvS will das Magdeburger Werk noch einmal zergliedern und bei SKET nicht mehr als 600 Beschäftigte behalten. Über diesen Vorschlag diskutierte der Aufsichtsrat bei seiner letzten Sitzung Ende September. Entscheiden will er am 14. Oktober.

SKET war früher in Magdeburg der größte Arbeitgeber. 13.000 Menschen arbeiteten im Werk, in den dazugehörigen Kindergärten, Ferienlagern, Berufsschulen, Gaststätten und Kegelbahnen. Geblieben sind davon heute eine Handvoll unsichere Arbeitsplätze. Selbst die Großküche schiebt nur noch 400 Essen durch das Ausgabefenster der Kantine. „Da muß man sich nicht wundern“, erzählt Renate Mebes, „daß die Leute – plöztlich ohne SKET – dem Alkohol verfallen.“ Viele von denen hat sie einfach in ihren blauen „Ford“ gesetzt und zum Arzt auf Entzug gefahren. Das Auto hieß im Werk schon „Kielstein-Expreß“. Wie der behandelnde Arzt.

*

Magdeburg, Lennéstraße. Hier, in einer sanierungsbedürftigen Villa, sitzt die IG Metall. Claus Matecki, der Chefmetaller von Magdeburg, hat sich in der ersten Etage einquartiert. Viel Zeit hat Matecki nicht, am Nachmittag ist Belegschaftsversammlung, zu der er eingeladen ist. Natürlich bei SKET, ein anderes Thema gibt es nicht unter den Bewohnern der Stadt. Matecki hat sich die Lokalzeitung und das Handelsblatt auf seinen Beratungstisch gelegt und am Morgen zuerst nach neuen Hiobsbotschaften geschaut. Gefunden hat er heute mal keine, wenn man von der allgemeinen Stimmungslage in der 250.000-Einwohner-Stadt absieht.

Matecki brütet über dem neuesten Sanierungskonzept für SKET, das der Münchner Unternehmensberater Roland Berger ausbaldowert hat. Von ihm stammt der Plan, SKET weiter aufzugliedern und noch einmal Leute zu feuern. „Wenn das durchgeht“, poltert Matecki, „bleibt nichts mehr, dann ist der Betrieb endgültig erledigt.“ Kein Dach für ein Unternehmen, das Gesamtlösungen anbietet. Keine Zulieferer mehr, denn die sind ausgegliedert. Kein Maschinenbau in Magdeburg. 37 Jahre SKET – vergessen.

„Natürlich“, setzt Matecki demonstrativ hinterher, „geht es hier auch um einen politischen Kampf. Und selbstverständlich sind wir optimistisch.“ Als Gewerkschafter bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Auch wenn er weiß, daß es neben SKET nur noch ein Großunternehmen im Osten gibt, das es überhaupt irgendwie geschafft hat: der Waggonbau.

1998 will sich die BvS auflösen. Bis dann muß auch das Problem SKET erledigt sein. Zeit, sich zu sanieren, bleibt für das Werk bis dahin keine.

Vom stillen Tod auf Raten, reden die Leute im Werk. Die Stimmung unter ihnen schwankt. Da sind die Resignierten, dann gibt es welche, die eine ordentliche Abfindung heraushollen wollen, und dann noch die, die kämpfen wollen. Wer in Halle elf – der wichtigsten Produktionshalle – nachfragt, der spürt das. Jeden Tag diese Ungewißheit, diese Angst. Aber Widerstand ist schwierig, solange es noch Arbeit gibt. So sind es nur wenige, die den Mund aufmachen. Die meisten haben Familie, und Magdeburg hat offiziell 18 Prozent Arbeitslose.

Hans Tauche gehört zu denen, die die Schnauze voll haben. Die Arbeitskombi übergezogen, auf der das gestickte Logo stolz verkündet, daß er Thälmann-Werker ist, hat er bei der letzten Aufsichtsratssitzung der „ganzen Sippschaft“ die Meinung gegeigt. „Sie müssen sich nicht wundern“, rief der Betriebshandwerker in seiner ersten Wut dem Geschäftsführer von der BvS zu, „wenn die Leute in den Untergrund gehen.“ Mit seinen 55 Jahren hat Tauch wenigstens einmal dem Mann, der so alt ist wie er und sein Chef, die Wahrheit ins Gesicht geschrien. Doch bevor er sich so richtig aufregen konnte, hatte ihn Renate Mebes zur Seite gezogen und ermahnt: „Hans, denk an dein Herz!“ – „Ist doch wahr“, hat Tauch da bockig geantwortet, „das merkt doch jeder: Hier soll doch nur der Betrieb plattgemacht werden.“ So was hat er sein ganzes Leben noch nicht erlebt, und dabei hat er schon drei Dutzend Berufsjahre auf dem Buckel. Bei SKET natürlich.

*

Mittags wieder zu SKET. Der Weg zum Werk führt vorbei an Flächen, die so groß sind wie mehrere Fußballfelder. Darauf ist alles abgerissen, alles weg. Ein einsamer Schornstein kündet noch von dem Kombinat, das hier mal stand. Auf den Straßen ein paar Arbeiter, die die Strecke zum Hauptwerk zu Fuß gehen. Gleich ist Betriebsversammlung, eingeladen wurde in Halle elf. Der Ort ist durchaus symbolträchtig. Der neu errichtete Anbau an die Halle wird überflüssig, wenn der Aufsichtsrat sich am 14. Oktober durchsetzt. Das kann er mehrheitlich gegen die Arbeitnehmervertreter. Doch bis dahin will der Betriebsrat kämpfen.

Die Halle elf ist blitzeblank, der Boden gekehrt, das Rednerpult schon aufgestellt. Irgend jemand halt Stricke aufgehänt – SKET geht es schließlich schlecht. Ein Raunen. Geschäftsführer Werner Kirchgässer von der BvS ist gekommen. Renate Mebes ist natürlich auch schon eingetroffen, Hans Tauche hat sich eingereiht. Claus Matecki in seiner Wachsjacke hat am Rednerpult ganz vorne Platz genommen. Betriebsratschef Günther Oelze redet zuerst und weiß, wie er seine Kollegen packen kann: „Ich habe in den letzten Jahren jede Menge Indianer aus dem Westen gehen sehen“, donnert er, „Häuptlinge waren leider nicht darunter.“

Ost-West, der Konflikt ist immer greifbar, und er ist doch nur die halbe Wahrheit. Metaller Matecki, selbst aus dem Westen, hat keine Schwierigkeiten. Für die 500 Arbeiter, die an diesem Mittag zur Versammlung gekommen sind, ist er einer von ihnen. Und die roten Trillerpfeifen der Gewerkschaft, die später gegen den Geschäftsführer eingesetzt werden, sind auch Pfiffe für Matecki. „Wenn ein Laden Probleme hat, müssen die Probleme beseitigt werden und nicht der Laden.“ Beifall für einen Westdeutschen.

*

Nachmittag, am Werkstor. Die Schicht hat gewechselt, in der Luke sitzt jetzt ein dickleibiger Pförtner. „Wem Gott ein Amt gibt“, wird er gerade beschimpft, weil er dem Fahrer eines BMW mit Nürnberger Kennzeichen die Einfahrt verweigert. Er solle, sagt der Pförtner träge, aber bestimmt, das Auto gefälligst auf dem Parkplatz draußen abstellen. Er habe sein Anweisungen. Plötzlich wird der Pförtner laut und energisch – und erhebt sich sogar. Er wird so laut, daß selbst die Arbeiter in ihren Blaumännern stehenbleiben und interessiert schauen. „Sie sind doch aus dem Osten“, schnarrt er den BMW-Fahrer an. „sie müssen doch denken – nur das Auto macht's.“ Und dann dreht er sich halb entschuldigend zur Seite und grummelt vor sich hin: „Also wirklich: 40 Jahre lang haben Leute wie der nischt unternommen. Wenn die sich früher einen Kopf gemacht hätten.“