Bundeswehr erklettert die Sandsteine

Mit Transall, Panzern und Maultieren in die Sächsische Schweiz: Die Jägerbrigade „Freistaat Sachsen“ will sich als „einzigartiger Großverband des deutschen Heeres“ präsentieren  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die Große Hunskirche läutet keine Glocken. Der Name ist abgeleitet aus dem mittelhochdeutschen „huns kerk“ für „schroffe Spitze“. Für Bergsteiger ist dieser bizarre Felsen ein Juwel im linkselbischen „Gebiet der Steine“, mitten im Landschaftsschutzgebiet Sächsische Schweiz. Mitte Oktober möchte die Bundeswehr hier mit 375 Mann zu einer „Lehrübung“ landen.

Oberstleutnant Jochen Kindermann wundert sich doch, daß seine Truppen im Gebirge gar nicht so willkommen sind. Vielleicht wurde die Bevölkerung „im Vorfeld nicht ganz glücklich informiert“, mutmaßt der Dresdner Bundeswehr- Sprecher. Selbstverständlich würde „größtmögliche Rücksicht“ genommen auf die Landschaft am Rande des Nationalparks Sächsische Schweiz. 375 Mann der Jägerbrigade „Freistaat Sachsen“ sollen eingesetzt werden, zwei Transall- Flugzeuge, sieben Hubschrauber, zwei Luftlandepanzer, 75 Kraftfahrzeuge, fünf Maultiere.

Die Bevölkerung ist eingeladen, den Staatsbürgern in Uniform zuzuschauen, wenn drei Gebirgsjäger-Seilschaften an der Großen Hunskirche Verletzte bergen, Fallschirmjäger den Sprungeinsatz trainieren und Bodentruppen im Sandsteinlabyrinth die Übersicht behalten. Ein Infobus ist in den Dörfern unterwegs, für gut Wetter zu sorgen. Hauptfeldwebel Förster erlebt seine Jäger in zwiespältiger Resonanz: „Die einen sagen: Wenn wir die Bundeswehr haben, muß sie auch üben. Die anderen fragen: Warum gerade hier?“

Umweltfreundlich will die Bundeswehr üben, das versucht Kindermann nun im Pirnaer Landratsamt, bei Bergsteigern und Naturschützern zu vermitteln. So würden die Gebirgsjäger nach den strengen, seit 1910 gültigen sächsischen Bergsteigerregeln klettern. Die beiden Panzer, rechnet der Presseoffizier vor, würden pro Quadratzentimeter nicht mehr Druck bringen als ein Sixpack Bier. „Keine Frage“, daß man die Mindestflughöhen einhalte. Und die Bodenübung würde auf ehemaligem LPG-Gelände laufen. Seit die Bürger informiert werden, erlebe er selbst „wenig Ablehnung“.

Peter Hildebrand vom Bund Sächsische Schweiz kann es kaum fassen: „Das Gebiet um die Steine ist eine hochgradig gefährdete Erosionslandschaft.“ Vor 100 Millionen Jahren war hier Kreidemeer; seit dem Ende der Kreidezeit haben Wasser und Wetter dieses einzigartige Sandsteingebirge geformt. Sand und ein bißchen Humus, das ist im wesentlichen die Sächsische Schweiz. Vor knapp 200 Jahren waren es zuerst die Maler der Romantik, die diese „ungeheuren Felsmassen“ (Carl Nicolai 1801 in seinem „Wegweiser durch die Sächsische Schweiz“) als Reiseziel entdeckten.

Hildebrand sieht durch die beabsichtigte Truppenübung die hundertjährigen Bemühungen um den Erhalt des Elbsandsteingebirges gefährdet. Die Armee würde ein „negatives Vorbild“ abgeben, das könne doch nicht im Interesse der Bundeswehr sein. „Nicht einmal NVA und Kampfgruppen haben sich in die Sächsische Schweiz gewagt.“ Mit Briefen an Bundespräsident Roman Herzog und Bundesverteidigungsminister Volker Rühe will nun der Bund Sächsische Schweiz die Notbremse ziehen – Rühe ist „Ehrenjäger“ der an der Übung beteiligten „Marienberger Jäger“.

Auch die Nationalparkverwaltung fühlt sich brüskiert. Zwar liegt das avisierte Übungsgebiet außerhalb der Grenzen des 1990 eröffneten Nationalparks. Für Referatsleiter Jürgen Phönix ist die Sächsische Schweiz aber „ein Ganzes mit unterschiedlichen Schutzkategorien“. Beschädigungen am Fels, Überbelastung der erosionsgefährdeten Hänge und Lärmbelästigungen seien unvermeidliche Folgen einer Massenveranstaltung. „Wir bedauern, daß hier der Konsens breiter Bevölkerungsschichten über die Schutzwürdigkeit dieser Landschaft durchbrochen wird“, stellt Phönix für die Nationalparkverwaltung fest.

Den Preis dieses Konsens benennt ein Informationsblatt der Jägerbrigade, das in diesen Tagen unter die Bevölkerung gebracht wird („auf Umweltpapier gedruckt“): Die erst vor zwei Wochen gebildete Jägerbrigade werde ab 1. Juli 1998 den deutschen Beitrag zur schnellen Eingreiftruppe der Nato leisten und müsse dazu „ihre Einsatzbereitsschaft nachweisen“.

Die schönste Sicht auf die Große Hunskirche hat man vom nahen Papststein, einem zerklüfteten Tafelberg. Dann steht der Felsen in einer Reihe neben Königstein, Lilienstein und Falkenstein. Für sächsische Armeen ist dieser Ort ein Trauma: Im Siebenjährigen Krieg mußten sich am Lilienstein 15.000 sächsische Soldaten den Preußen ergeben. Sie wurden, während ihr oberster Kriegsherr auf dem Königstein festsaß, von den Preußen zwangsvereidigt, worauf sie zu Tausenden desertierten – und zu Hunderten wieder eingefangen wurden.