Der Körper zählt mehr als Besitz

Eigentumsdelikte sollen milder, Gewaltdelikte und Mißbrauch härter bestraft werden  ■ Von Ute Scheub

Berlin (taz) – Ein Eierdieb, der seine Beute aus einem verschlossenen Schrank klaut, wird härter bestraft als ein Meister, der seinen Auszubildenden zur Strafe in den Schrank sperrt. Ein Bankräuber, der mit einer Spielzeugknarre herumfuchtelt, muß mindestens fünf Jahre Knast absitzen; ein Mann, der seine Frau beim Verprügeln unabsichtlich totgeschlagen hat, nur mindestens drei Jahre.

Ein Handtaschenräuber, der bei einer alten Frau einen Herzinfarkt verursacht, erhält eine Mindeststrafe von zehn Jahren; ein Vergewaltiger, dessen Opfer hinterher stirbt, dagegen nur fünf Jahre oder mehr. Für diejenigen, die das 1871 in Kraft getretene Strafgesetzbuch formulierten, war der Übergriff auf einen Geldbeutel schlimmer als der Übergriff auf einen menschlichen Körper. Körperverletzungen galten lange Zeit als Privatangelegenheit zwischen den Kontrahenten. Erst nach und nach wurde die Integrität des Körpers als Teil der Selbstbestimmung des bürgerlichen Individuums begriffen.

Dieses antiquierte Gefälle zwischen Eigentums- und Gewaltdelikten soll nun nach dem Willen der Bundesregierung beseitigt werden. Das Bundesjustizministerium bestätigte gestern einen Bericht der SZ, wonach die Strafen für Gewaltakte angehoben und für Eigentumsdelikte gelockert werden sollen. Der Entwurf für eine „Strafrahmenharmonisierung“ werde derzeit mit anderen Ministerien abgestimmt.

Ihr Kern: Die Strafrechtsbestimmungen zum Thema Körperverletzung sollen allesamt reformiert werden. Die Paragraphen über gefährliche Körperverletzung, schwere Körperverletzung, Körperverletzung im Amt, Mißhandlung von Schutzbefohlenen und Vergiftung werden als „besonders schwere Fälle“ einheitlich gefaßt und zukünftig mit Strafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet.

Auch versuchte Körperverletzung, versuchte Freiheitsberaubung und versuchte Kindesentziehung sollen, anders als heute, in Zukunft bestraft und damit dem Eigentumsdelikt „versuchter Diebstahl“ gleichgestellt werden. Die Höchststrafe für besonders schwere Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern soll ebenfalls erhöht werden: von 10 auf 15 Jahre. Umgekehrt aber will man die Mindeststrafe für schweren Raub von bisher fünf auf zwei Jahre absenken.

Gerade letzteres hat handfesten Krach in der Regierungskoalition ausgelöst. Die CSU-Landesgruppe im Bundestag will zwar die Gesetzesverschärfungen mittragen, nicht aber die Strafabsenkung bei schwerem Raub. Das Vorhaben sei „rechtspolitisch völlig verfehlt und widersinnig“, schimpfte CSU- Rechtsexperte Wolfgang Zeitlmann. „Einen solchen Schildbürgerstreich“ werde die CSU „verhindern“.

Andere Reaktionen waren freundlicher. SPD-Vizechefin Herta Däubler-Gmelin erklärte, es werde Zeit, daß der Schutz von Menschenwürde, Leben, Freiheit und sexueller Integrität höhergestellt werde als der des Eigentums. Es werde aber nicht ausreichen, den einen oder anderen Strafrahmen anzuheben. Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen, nannte die Reform „seit langem überfällig“. Er forderte jedoch, von Strafen abzusehen, wo es andere Lösungen gebe: Weiche Drogen sollten wie Alkohol gehandelt werden dürfen, Schwarzfahren solle als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden.

Auch der Deutsche Richterbund begrüßte die geplanten Änderungen als „überfällig“. Die notwendige Reform sei allerdings von vielen Richtern im Rahmen der Strafzumessung bereits vorweggenommen worden, so der stellvertretende Vorsitzende Victor Weber: „Innerhalb dieses Rahmens hat die Praxis schon richtig gewichtet und Körperverletzungen härter bestraft als Eigentumsdelikte.“ Skeptisch äußerte sich der Richter zur geplanten Strafverschärfung bei Kindesmißbrauch: Er glaube nicht, daß das „Kinder mehr schützt als bisher“.