Revolutionäre Beete

■ Von der Nahrungssicherung zu Parzellen der Emanzipation: Im Leipziger Vereinshaus Dr. Schreber wurde das "Museum der Kleingärtnerbewegung" eröffnet

Als mit Beginn des 19. Jahrhunderts die „soziale Frage“ aufkam, standen weniger die utopischen Fernziele des Klassenkampfs als die konkreten Verbesserungen der Lebensverhältnisse im Mittelpunkt des Interesses. So auch der Garten. 1830 wurden in Kiel die ersten „Armengärten“ eingerichtet. Diese Gärten sollten nach den Vorstellungen der eher konservativ-klerikalen Reformer dem Arbeiter ein Ort der Regeneration sein – und die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln sichern. Andererseits galt die Gartenidee als geeignete Maßnahme, die zunehmenden sozialen Probleme zu entschärfen – statt Kampf der Klassen, Gärten für die Massen.

Etwa dreißig Jahre später entstanden dann die nach dem Leipziger Reformpädagogen Daniel Gottlieb Schreber benannten Vereine, für die der deutsch-nationale Turnideologe, der 1861 an den Folgen eines Turnunfalls verstarb, noch heute seinen Namen hergeben muß. Die Schrebergärten waren ursprünglich als Beschäftigungstherapie für Arbeiterkinder gedacht. Doch nachdem die Kleinen nur wenig Durchhaltevermögen bei Hege und Pflege der Pflanzen bewiesen, fielen diese in die Hände der Eltern, die bald Zäune um die Parzellen zogen – nicht zuletzt, um die Gärten vor den Kindern zu schützen. Die so „modifizierte“ Schrebergartenidee verbreitete sich schnell. Vor allem das Ruhrgebiet und die Stadt Berlin mit ihren „Laubenpieperkolonien“ wurden zu Zentren der Kleingärtnerbewegung.

Einblicke in die Entwicklung der Gartenidee, die jenseits der euphorischen Theorie vom Befreiungswillen einer geeinten Arbeiterklasse die im wahrsten Sinne des Wortes „parzellierte“ Bewegung des Proletariats nachzeichnet, bietet jetzt das neu eröffnete „Museum der Kleingärtnerbewegung“ im einstigen Vereinshaus Dr. Schreber in Leipzig. In fünf Räumen sind hier Fotografien und Dokumente zu sehen sowie eine Gartenlaube mit historischen Einrichtungsgegenständen. Für die Zukunft ist geplant, eine Bibliothek einzurichten und Forschungsaufträge wahrnehmen.

Was heute viele für den Inbegriff von Spießertum und Vereinsmeierei halten, war in seinen Anfängen angesichts des Massenelends der Lohnabhängigen durchaus ein Versuch der Emanzipation. Die gärtnernden Arbeiter begannen sich zu etablieren: 1896 wurde das repräsentative Vereinshaus des Leipziger Kleingartenvereins Dr. Schreber fertiggestellt, 1921 schlossen sich die deutschen Kleingärtner zum „Reichsverband der Kleingartenvereine“ zusammen, und 1926 wurde in Luxemburg gar die internationale Kleingärtnerorganisation, das „Office International des Jardin Ouvriers“, gegründet. Die Organisationsstrukturen konnten sich festigen, nicht zuletzt weil affirmative und eskapistische Tendenzen „der“ Arbeiterbewegung hier ihren Niederschlag fanden, so daß fortan auch das besondere staatliche Interesse den Kleingärtnern galt.

Natürlich nutzten auch die Nationalsozialisten die Gartenidee für ihre Zwecke. „Jedem städtischen Volksgenossen muß das Recht auf kleingärtnerische Betätigung als Lebensrecht eingeräumt werden“, hieß es in den Verordnungen der Nazis, die bis 1945 nicht müde wurden, den eigenen Garten mit der Ideologie vom deutschen Boden zu kompilieren. Die Bewegung setzte sich nach dem Krieg bruchlos fort, und am Anfang wurden einige Kleingärten auch dauerhaft bewohnt.

In Westdeutschland gibt es etwa 500.000 organisierte Kleingärtner sowie rund 100.000 „Autonome“, die an den Schienen der Deutschen Bundesbahn ihr Gärtchen pflegen und sich zwar an den Lärm der Loks gewöhnen müssen, doch der Sozialkontrolle durch Nachbargärtner entgehen. Auch die DDR betrieb eine intensive Kleingartenentwicklungspolitik, die zu einer beachtlichen „Datschenkultur“ führte, so daß die Zahl gesamtdeutscher Kleingärtner mittlerweile bei über einer Million liegt.

Bei allen Vorbehalten gegen das berüchtigte Kleingärtnerwesen handelt es sich doch um einen bedeutenden Aspekt der modernen Kultur- und Sozialgeschichte. Und das Leipziger Museum sei, so die Initiatoren, eine „kleingärtnerische Standortbestimmung“ in einer Zeit, „in der das Kleingartenwesen von verschiedenen Seiten ernsthaft in Frage gestellt wird“. So sei zum Abschluß allen Gartenhäretikern zum Trotz der Architekt Adolf Loos zitiert: „Man glaube nicht, daß die Schrebergärtnerei eine augenblickliche Psychose ist: Für alle kommenden Zeiten wird das Stück Land, das sich der Mensch selbst bebaut, das bleiben, was es heute ist – die Zuflucht zur Mutter Natur, sein wahres Glück und seine Seligkeit.“ Thorsten Pannen

Deutsches Museum der Kleingärtnerbewegung Leipzig, Aachener Straße 7, 04109 Leipzig