: Vom Western-Pionier zum Gefängniswärter
Der Bau einer privaten Haftanstalt entzweit die Einwohner einer kleinen Gemeinde im Mittleren Westen der USA. Die einen hoffen auf Arbeitsplätze, die anderen fürchten um ihr lukratives Bauland ■ Aus Okeene Reed Stillwater
„Es ist eine Wachstumsindustrie und eine saubere Industrie“, sagt Mike Dobrinski, der Chevrolet-Händler im Ort, „und wir brauchen hier Wachstum“. Die Rede ist von einem Gefängnis, und zwar einem privaten, das in Okeene im Bundesstaat Oklahoma gebaut werden soll. „Erst hieß es, das Gefängnis würde draußen in den Gypson Hügeln stehen, weit ab von jeder Siedlung“, sagt Jim Osmus, der das Fuhrunternehmen im Ort betreibt, „dagegen hätte niemand etwas gehabt, aber jetzt erfahren wir, daß es nur eine Meile außerhalb der Stadt stehen soll. Mike Dobrinski ist eigentlich mein Freund, mit ihm mache ich seit Jahrzehnten Geschäfte, er hätte mich wenigstens mal fragen können, bevor er sich für den Bau eines Gefängnisses buchstäblich vor meinem Küchenfenster einsetzt. Jetzt habe ich mir statt eines Chevrolets erstmals einen Ford gekauft!“
Der geplante Gefängnisbau hat die 1.100 Einwohner von Okeene in zwei Parteien geteilt. Für das Gefängnis sind außer dem Truckhändler noch die Besitzer des einzigen Lebensmittelladens der Kleinstadt sowie der Motelbesitzer. Sie alle versprechen sich Kundschaft von den Familienangehörigen, die ihre eingekerkerten Verwandten besuchen werden, sowie von den Angestellten, die im Gefängnis Arbeit finden sollen.
Gegen das Projekt sind Jim Osmus vom S.O.O. Trucking Co. und Randy Nusz, der Betreiber der einzigen Getreidemühle. Von den beiden Banken ist je ein Banker dafür, einer dagegen. Den restlichen Bewohnern ist der Ausgang dieses Streits ziemlich gleichgültig.
Okeene galt einst als die Perle des Cimarron Tals. Es ist gerade etwas mehr als hundert Jahre her, daß den Indianern das Land abgenommen und die Flußniederung 1892 in einem dramatischen Wettlauf um Land besiedelt wurde. Zu seinen besten Zeiten hatte Okeene 1.600 Einwohner, drei Banken, vier Kirchen, zwei Dutzend Handwerksbetriebe, ein Hotel, eine Eisenbahnstation, an der sich zwei Bahnlinien kreuzten, und die größte Automobildichte im Staate Oklahoma. Das Hotel steht seit Jahrzehnten leer, die Eisenbahn hält schon lange nicht mehr in Okeene, die Bevölkerung geht unaufhaltsam zurück. Noch prägt die Landwirtschaft den Charakter der Gemeinde, aber das Durchschnittsalter der Farmer beträgt 62 Jahre. Neben Getreidemühle und Fuhrunternehmen sind heute Schule, Krankenhaus und Altersheim die wichtigsten Arbeitgeber. Und jetzt hängt der Fortbestand ihrer Gemeinde von der weiteren finanziellen Unterstützung des Staates ab, die das Gefängnisprojekt bringen soll, denn Gefangene gibt es innerhalb und außerhalb Oklahomas mehr als genug.
In Oklahoma, dem Staat, aus dem Steinbeks Okies kamen, landet heute die Gülle der industriellen Schweinemast. Eine Gülleverordnung wie in der EU gibt es in Oklahoma nicht. Die Metropolen der Ostküste deponieren hier sogar ihren Klärschlamm aus der Abwasserreinigung. Oklahoma, so scheint es, eignet sich nicht nur als Abladeplatz für Müll, sondern auch für Menschen, vor denen sich die Gesellschaft schützen will. In Okeene würde nämlich nicht die erste private Strafvollzugsanstalt des Bundesstaats stehen. In Holdenville, Hinton und Helena stehen schon Gefängnisse der Konkurrenz, die auch Strafgefangene aus anderen Bundesstaaten aufnehmen.
Wackenhuts heißt der in Florida beheimatete private Strafvollzugsanbieter, der in der ganzen Welt Gefängnisse baut und verwaltet. Sein wichtigster Konkurrent ist C.C.A. (Corrections Corporation of Amerika). Die Privaten versprechen effektiveren Strafvollzug für weniger Geld. Sie konkurrieren mit günstigen Preisen um Gefangene und versprechen wirksamere Resozialisierungsprogramme. Da Gefängnisse in vielen Staatshaushalten die am schnellsten wachsenden Budgetposten sind, sehen viele Bundesstaaten in privaten Gefängnissen ihre Rettung, und für manche Gemeinde wird die Gefängnisansiedlung zum Motor der Wirtschaft. Wackenhuts plant für 30 Millionen Dollar ein 1.000 Betten- Gefängnis, das 250 bis 300 Arbeitsplätze schaffen soll.
„Das wären gut bezahlte, wenn auch nicht sehr anspruchsvolle Stellen, die dem Bildungsniveau unserer Region angemessen wären“, meint Dobrinski, der Chevrolet-Mann. „Viele, die als Aufseher oder Reinigungskräfte Arbeit finden würden, könnten ihre Farmen behalten, wir würden so etwas für den Erhalt unserer landwirtschaftlichen Basis tun.“ Die Gegner des Projekts bezichtigt er unlauterer Motive: „Die fürchten ja nur, daß durch das Arbeitsstellenangebot die Löhne steigen.“
Mike Dobrinski hatte sich in seiner Eigenschaft als Bürgermeister von Okeene zusammen mit einem Gefängnisseelsorger aus dem Ort für die Ansiedlung eines Gefängnisses eingesetzt. „Wir wollten, daß auch mal ein Regierungsprojekt nach Westoklahoma kommt und nicht immer alles Geld in den dichter besiedelten Osten unseres Bundesstaates fließt. Wir haben hier wirklich alles mögliche versucht: Wir hatten eine Fleischverarbeitungs- und eine Wohnwagenfabrik, beide haben sich nicht gehalten. Dann haben wir versucht, eine Schokoladenfabrik und eine Fertigung für Viehwagen anzusiedeln. Aber wir liegen abseits des Highways und der Absatzmärkte. Also haben wir versucht, aus der Not unserer Abgeschiedenheit eine Tugend zu machen. Hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, kommen Ausbrecher nicht weit.“ So die Sicht des Bürgermeisters.
„1.000 Gefangene und 300 Arbeitsplätze würden die Bevölkerung von Okeene auf einen Schlag verdoppeln“, wendet dagegen Cindy Gingrich von der First National Bank ein. „Das hält unser Abwassersystem nicht aus. Da müssen wir erst mal vier Millionen Dollar in die Infrastruktur investieren. Wackenhuts verspricht uns zwar, daß uns das Projekt nichts kosten soll, aber letztlich würden wir machen müssen, wozu alle Gemeinden, die Industrie ansiedeln wollen, gezwungen sind: Wir müßten uns in Schulden stürzen, um denen entgegenzukommen.“
Ein Ort wie Okeene hat keine 300 Arbeitssuchenden, „wir haben hier negative Arbeitslosigkeit“, sagt Jim Osmus. Nie und nimmer aber würden sich 300 Familien wegen vergleichsweise schlecht bezahlter Arbeitsplätze in Okeene ansiedeln. Die würden aus umliegenden Orten wie Canton, Hennesey, Watonga und Fairview einpendeln und ihre Löhne in ihren Heimatgemeinden ausgeben. „All diese Geschäftsleute, die sich Profite von einem Gefängnisbau versprechen, machen doch nur Milchmädchenrechnungen auf“, argumentieren die Gegner.
Wieso eine ländliche und periphere Region wie Oklahoma überhaupt derart viele Gefangene produziert, daß Oklahomas Gefängnisse überfüllt sind? Wer die Leute in der Stadt fragt, bekommt das übliche Wehklagen über den Verfall der Sitten und der Familie und über die lasche Justiz zu hören. In Oklahoma hat dieses Lamento eine interessante Variante: „Das liegt in der Geschichte des Territoriums“, erklärt ein Oldtimer, der in der Nähe eine Ranch hat. „Oklahoma wurde erst 1907 Bundesstaat. Vorher war es Indianerterritorium und Zufluchtsort für Banditen und entflohene Sklaven. Und an jenem sagenumwobenen Wettlauf um Land beteiligten sich alle Arten von Abenteurern.“
Wer dagegen die Gegner des Gefängnisprojekts fragt, bekommt ganz andere Antworten: „Das hat ausschließlich politische Gründe“, sagt Jim Osmus, „das liegt daran, daß soviel in Gefängnisse investiert wird, denn große Budgets entwickeln eine Eigendynamik. Es seien dagegen gar nicht die vielen Gefangenen, die das Budget für den Strafvollzug ansteigen ließen. „Wenn wir die 30 Millionen, die das Gefängnis kosten soll, in Bildung stecken würden“, ereifert sich Cindy, „hätten wir weniger Probleme mit Straftätern.“
Man könnte sich über eine derart verständige Kritik an der typisch amerikanischen Obsession mit dem Verbrechen freuen, wenn einem nicht der Verdacht käme, daß die Gefängnisgegner ganz andere Interessen verfolgten. Wenn man sieht, wer die in den vergangenen Jahren aufgegebenen Farmen gekauft hat, stößt man auf vier Grundbesitzer mit überdurchschnittlich großen Farmen. Diese Grundbesitzer sind zugleich die entschiedensten Gegner des Gefängnisprojekts. In ihren Argumenten vermischen sich ökonomische Vernunft mit schnödem Eigeninteresse. „Dieses Projekt ist zu groß für uns“, rechnet Randy Nusz, der Mühlenbetreiber, vor. „Was wir hier vielleicht wirklich brauchen können, ist ein Betrieb, der ganze sieben Arbeitsplätze schafft.“ Nur: Wer soll hier sieben Arbeitsplätze schaffen?
Randy hält 500 Einwohner für diesen Ort für ausreichend. Seine Vision der Zukunft sieht ganz anders aus. Die 30 Meilen entfernte Stadt Enid ist heute, was Okeene ehemals war, der Motor der Region. Enid aber dehnt sich nach Westen aus. Die Leute werden vor der Verstädterung die Flucht ergreifen und sich hier draußen in der Stille mit Blick in die Ferne ein Plätzchen suchen wollen.
„Das Land hier ist noch völlig unzersiedelt, die ideale Ausgangslage, um hier allmählich Pensionärsgemeinden anzusiedeln und Vorstadt-Siedlungen zu errichten. „Okeene könnte für Enid werden, was der Vorort Edmond für Oklahoma City ist.“ Daß Randy genau deshalb sein Land in Reserve hält, an dessen Verkauf er hundertmal soviel verdienen würde wie alle Nutznießer des Gefängnisprojekts zusammen, sagt er freilich nicht.
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