Zu neuen Ufern

■ Mit freiem Eintritt bis Monatsende will das Junge Theater die „kulturelle Grundversorgung“ sichern

Jetzt erst recht, mag sich das Junge Theater gedacht haben und geht – trotz finanzieller Unterdeckung von 50.000 Mark – zur neuen Spielzeit in die Offensive. Zuerst mal mit dem 2. Festival „Theater für alle – Freies Theater bei freiem Eintritt“. Bis zum Ende des Monats heißt es: Es zahlt nur, wer glaubt, zahlen zu können. Bereits vor zwei Jahren hat man mit dem freien Eintritt gute Erfahrungen gemacht. „Das Publikum war zehnmal konzentrierter als sonst“, so Programmchef Carsten Werner, und keiner ist, wie befürchtet, nach zwanzig Minuten wieder rausgelaufen, weil es ja nix gekostet hat.

Ein deutlich jüngeres Publikum sei damals gekommen – das sich teilweise zum ersten Mal über die Schwelle des Jungen Theaters (und eines Theaters überhaupt) getraut hat. Vor und nach der Vorstellung bekamen die Theatermacher dann aus erster Quelle zu hören, warum viele ungern ins Theater gehen: Weil es in der Regel eine Pause gibt, in der man sich langweilt; weil, zweitens, nie klar ist, ob das Stück eine halbe oder vier Stunden dauert und drittens, weil der komplexe Spielplan des Jungen Theaters es mit sich bringe, daß man unversehens in einer todlangweiligen Lesung statt in der gewünschten Lachnummer landet.

Damit das „Eintritt frei“-Konzept finanzierbar war, mußten Fördergelder her. 20.000 Mark steuerte die Waldemar Koch-Stiftung zusätzlich zu ihrer regulären Förderung bei, den Rest teilen sich so unterschiedliche Förderer wie Bündnis 90/Die Grünen, die PDS und Kraft Jacobs Suchard.

„Mit einem Paukenschlag“ will man in die neue Saison gehen und das nicht nur im Stammhaus in der Friesenstraße. Neue Aufführungsorte werden laufend gesucht und auch gefunden. Im Gespräch: die Probebühne des Jungen Theaters in der Gröpelinger Kap Horn-Straße mit Blick aufs Wasser, das Lichthaus, das Haus im Park und auch das verwaiste Postamt 5 am Hauptbahnhof, das schon dem kommenden „Tanzherbst“ als Spielstätte dient. Man möchte neue interessante Räumlichkeiten bespielen. Und herausfinden, ob das Viertel-Publikum denn bereit ist, sich für einen Theaterabend auch mal in den Bremer Westen zu bewegen.

„Theater für alle“ versteht sich auch als „Beitrag zur kulturellen Grundversorgung“, und die sieht im Jungen Theater in der laufenden Spielzeit so aus. In Vorbereitung ist eine weitere Revue mit Texten von Max Goldt und Friedhelm Kändler (Regie: Nomena Struß) und „The Black Rider“ von Wilson/Waits/Burroughs in der Regie des Künstlerischen Leiters Ralf Knapp.

Am 9. November möchte man mit Ensemblemitgliedern des Bremer Theaters und der Shakespeare Company in den Zellen der Ostertorwache eine Lesung veranstalten. Voraussichtlich auf dem Programm: die Tagebücher Victor Klemperers. Als Gäste treten alte Freunde des Hauses wie Tim Fischer , Gayle Tufts oder Cora Frost mit neuem Programm auf. Darüber hinaus öffnet sich das Junge Theater dem mehrfach ausgezeichneten „Elite-Trash-Clown“ Leo Bassi oder den Punk-Chansonniers „The Tiger Lilies“ aus London. Das Zauberwort bis auf weiteres heißt „interdisziplinär“ und Festival. Im November ist das Junge Theater mit der Repertoire-Produktion „Oleanna“ Gast auf Deutschlands bedeutendstem Treffen der Freien Gruppen, „Politik im Freien Theater“. Im Frühjahr dräut „Lust sucht Rausch“, ein Theater- und Kulturfestival und ebenfalls im Frühjahr kommt „Sprungbrett '97“ auf uns zu, ein Forum für Produktionen bundesdeutscher Schauspielschulen. Wobei die Marktgängigkeit kein Kriterium gewesen ist bei der Spielplangestaltung. „Man könnte das Theater in Nullkommanichts wirtschaftlich machen“, sagt Carsten Werner. Allein: Man will es nicht. Kassenträchtige Gastspiele buchen und angesagte Themen mainstream-gerecht zu verarbeiten – das wäre nicht schwer, meint Werner. Doch das würde auf Kosten des Profils gehen. Oberstes Kriterium ist hingegen die Intensität der künstlerischen Darbietung. Und wenn KünstlerInnen schon nach 30 Minuten alles gesagt haben, ja, dann kann es tatsächlichpassieren, daß dem auf „abendfüllende“ 90-120 Minuten getrimmten Publikum gerade mal eine halbe Stunde Theater zugemutet wird. Das muß reichen. Alexander Musik