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: Vergessener Libanon: Ilyas Khoury liest im Haus der Kulturen der Welt

Nachkriegsgesellschaften sind ein schlechtes Pflaster für Vergangenheitsbewältigung. Der Libanon, nach einem mehr als fünfzehnjährigen Bürgerkrieg als Staat eigentlich schon abgeschrieben, macht da keine Ausnahme. Eigentlich, so ist immer mal wieder aus Politikerkreisen zu hören, habe es ja gar keinen Bürgerkrieg gegeben, „nur einen Krieg anderer auf unserem Territorium“. Civil War? What Civil War? Mit Ilyas Khoury kommt nun ein libanesischer Schriftsteller nach Berlin, der sich konsequent gegen eine solche Kultur des Vergessens und Verdrängens wendet. Mit seinen Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern hat er sich bemüht, die Erinnerung an die Schrecken und die – größtenteils nach wie vor unaufgeklärten – Verbrechen des Krieges wachzuhalten. Als Publizist und Mitbegründer des einzigen unabhängigen Theaters in Beirut ist er wesentlich am Aufbau einer Gegenöffentlichkeit beteiligt, die der staatlichen Wiederaufbaueuphorie ein Minimum an demokratischer Mitbestimmung abzuringen sucht.

Für die libanesische Literatur, über die Ilyas Khoury sprechen wird, war die Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg eine ästhetische Herausforderung. Autoren und in stetig zunehmender Zahl auch Autorinnen, die darüber schrieben, sahen sich mit einem brutalen Aberwitz konfrontiert, den eine konventionelle realistische Schreibweise nicht mehr einfangen konnte. Romane wie Khourys „The White Faces“ oder Sahras Geschichte von Hanan al-Scheich erzählen in schnörkellos und eng an der gesprochenen Sprache orientiert Geschichten eines Kriegsalltags, in denen die Grenze zwischen Alptraum und Wirklichkeit nie klar zu ziehen ist. Ob das schöne neue Beirut, das auf den Entwürfen der Stadtplaner eher einem mediterranen Singapur gleicht, noch Platz für Menschen mit einer solchen Geschichte haben wird, bleibt abzuwarten. Ilyas Khoury jedenfalls läßt sich seinen Optimismus nicht nehmen: „Die neue herrschende Klasse will aus dem Libanon ein Hongkong des Petrodollar-Systems machen. Aber wenn die Emire kommen, kommen auch die, die von den Emiren gefoltert werden.“ Heiko Wimmen

Heute, 20 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee, Tiergarten