Frisches Blut für die alte Tante

■ Sozialdemokraten starten neue Jugendkampagne und bekennen: „Auch die Sozis machen Fehler.“ Mit coolen Sprüchen und schrägem Layout sind sie jetzt auf Kinderfang

Berlin (taz) – „SPD 2000 plus“ – unter der eher an Waschmittelreklame als an Politik erinnernden Formel trafen sich die SPD- Youngsters am Montag in Bonn und warnten mit ernster Miene: Der Partei laufe die Jugend weg. Stimmt nicht. Sie kommt erst gar nicht. Ob einer Anzahl von 48 Jungpolitikern verfiel das Häuflein in Euphorie und gab sich als „die wahren Enkel der SPD“ aus. Die Mehrzahl der heutigen Spitzenfunktionäre, verkündete die Bundestagsabgeordnete Ute Vogt, habe zur heutigen Jugend keinen richtigen Zugang mehr.

Um den gegenteiligen Eindruck zu erwecken, macht die SPD-Parteizentrale jetzt in ihrem neuen Werbefeldzug ganz auf jung. Kernstück der Kampagne ist die vor kurzem erschienene Jugendbroschüre der SPD. „Das ist Dein Bier!“ titelt sie frei von der Leber. Coole Sprüche und schräges Layout sollen das politische Bewußtsein der satten Wohlstandsjugend wieder zum Leben erwecken.

Schwierige Aufgabe. Gnade uns Technogöttin Marusha, wenn sich von dem Werk tatsächlich jemand erwecken läßt.

Gleich auf Seite eins werden da ohne Umschweife zentrale Fragen deutscher Politik aufgeworfen: „Wie lange kannst Du in Deiner Lieblingskneipe draußen sitzen?“ „Wer tut überhaupt was gegen Menschenrechtsverletzungen und Ozonloch?“ Und direkt darunter, nicht minder bedeutungsschwanger: „Wer sorgt für Fußballstadien und Halfpipes?“

Beantwortet wird allerdings nur die letzte der zehn Fragen: „Warum duzt Dich die SPD?“ Ist doch klar: „Weil es in der SPD Tradition hat und, nun ja, weil es irgendwie besser klingt.“ Leider fragt niemand, warum man als Leser, nun ja, irgendwie immer Hautausschlag bekommt, wenn PR–Schreiber die Teenie-Sprache entdecken.

„Mehr mitmischen“ dürften Jugendliche dann in Sachen Schule und Politik, versprechen die Sozialdemokraten („dann“ will heißen, wenn die SPD wieder regiert). Dann werde natürlich auch ordentlich „Druck gemacht“ für mehr Ausbildungsplätze. Und Computer „sollen“ in allen Klassenräumen stehen. Und mehr jugendgerechte Wohnungen „sollen“ gebaut werden.

Dafür wird es auf der vorletzten Seite in großen Lettern gleich zehnmal ganz fürchterlich „konkret“. Und zwar dank „den Jusos in Heidelberg, die mit Solarenergie die Fußball-WM auf den Uniplatz übertragen haben“ – die Wende in der Energiepolitik. Oder in Neuss, wo die Jusos konkret „mithelfen“, die Schließung eines Jugendcafés zu verhindern – geradezu revolutionär. „Konkret“, erklärt die Propagandaschrift, habe auch die von der SPD geführte Bundesregierung in den siebziger und achziger Jahren eine Wirtschaftspolitik gemacht, die zu „wesentlich weniger“ Schulden und Arbeitslosen geführt habe als die jetzige Regierung unter Helmut Kohl.

Unter dem Titel „Ein ganz wenig Geschichte“ erfährt der junge Leser und die junge Leserin unter anderem, daß die SPD die älteste demokratische Partei Deutschlands ist, „und das heißt in Deutschland bekanntlich eine ganze Menge“. Sanfter kann man mit der deutschen Vergangenheit kaum umgehen. Ein paar Zeilen weiter unten folgt das schamhafte Bekenntnis: „Ganz ohne Fehler sind allerdings auch wir Sozis nicht. Als die Gefahren der Kernenergie noch nicht so bekannt waren wie heute, waren viele von uns dafür. Inzwischen wissen wir es besser und treten für den Ausstieg aus der Kernenergie ein.“ Denn: „Wenn wir aufhören, Ziele zu haben, können wir auch gleich aufhören, Politik zu machen.“

Zum Schluß kommen die Autoren endlich zur Sache: „Am einfachsten kannst Du bei uns anrufen: 0228/532 500.“ Neben der Nummer ist das Foto einer gutaussehenden rotmundigen Frau samt Telefonhörer abgebildet. „Anja Weusthoff erklärt Dir dann, wie es weitergeht ... In jedem Fall freuen wir uns auf Dich.“ Aber auch für Leute, die sich nicht mit Anja freuen wollen, gibt es eine Lösung: „Du kannst einfach einen Sozi ansprechen, der mit Infomaterial in der Fußgängerzone steht.“ Vorsicht, nicht mit den Zeugen Jehovas an der Ecke verwechseln. Clemens Heidel