Zuckergeld gibt's auch nicht mehr

Hilde Neubert, Sven Pötsch und Katrin Kühn haben gefeiert: den 47. Gründungstag der DDR. Eine Stunde und vier Minuten standen sie auf dem Alexanderplatz – dann war wieder alles wie vorher  ■ Aus Berlin Jens Rübsam

Viel ist nicht übriggeblieben von dieser DDR. Ein Plastikbecher von Burger King, eine Flasche Rosenthaler Kadarka und eine Büchse Löwenbräu Oktoberfestbier.

Da, wo eben noch Deutsche Demokratische Republik war, wo „Auferstanden aus Ruinen“ erschallte, wo knapp hundert Ostalgiker die „zentrale Kundgebung zum 47. Gründungstag des Arbeiter-und-Bauern-Staates“ abgehalten haben, da, mitten auf dem Berliner Alexanderplatz, liegt jetzt ein kleiner Müllhaufen. Einmal nur muß das Auto der Berliner Stadtreinigung an diesem Montagabend, dem 7. Oktober 1996, seine Runde drehen. Dann ist sie weggefegt, die DDR.

Für eine Stunde und vier Minuten war sie wieder auferstanden, und Hildegard Neubert ist dagewesen. Wie sie immer da war für diesen Staat: 38 Jahre im „Fortschritt“, dem großen Textilbetrieb in Lichtenberg, als Fließbandarbeiterin, bei den Kundgebungen am 1. Mai und 7. Oktober und auch bei einer der letzten großen Jubelfeiern im Mai 89. „Die Nelke habe ich noch.“

Früher war sie ein BDM-Mädchen und nach dem Krieg eine der Frauen, die den sozialistischen Staat mitaufgebaut und die Amis verflucht haben. „Wissen Sie, ich habe über 1.000 Bombenangriffe erlebt. Und ich höre heute noch die Bomben.“ Von den Amis, sagt Hilde Neubert, brauche ihr niemand was zu erzählen. Von den Wessis auch nicht – „wie die den Fortschritt kaputt gemacht haben“.

Hildegard Neubert engagiert sich heute im „Komitee für Gerechtigkeit“. „35 Mark habe ich früher Miete gezahlt und jetzt 481.“ Sie wohnt immer noch in derselben Wohnung an der Karl- Marx-Allee in Friedrichshain. 630 Mark hat sie voriges Jahr für die Umweltkarte ausgeben müssen, jetzt 970. Zuckergeld gibt es auch nicht mehr. „Gut, daß ich noch etwas auf dem Sparbuch habe.“

Sven Pötsch steht auf einem weißen Ford und verkündet die Botschaft des heutigen Abends. „Weg mit den BRD-Besatzern“ ist die zentrale Losung des 47. Gründungsjahrestages der Deutschen Demokratischen Republik. Eine wirklich sozialistische DDR wird gefordert, „nicht so eine, wie wir sie hatten“.

Pötsch, Sven, 22 Jahre. Aufgewachsen in Treptow, jetzt in Lichtenberg zu Hause, in einer typischen Ikea-Wohnung, „weil das billig ist“. Die Eltern in der Partei: die Mutter erst ziemlich spät eingetreten, „ich glaube, 86 oder 87“, der Vater, mittlerweile über 50, einst Mitarbeiter im Außenministerium und „heute resigniert“. Typischer Werdegang eines jungen DDR- Menschen: erst Pionier, dann FDJler, alles ganz normal. Nach der Wende bei den Trotzkisten, heute bei einer Organisation der Freien Arbeiter Union/Anarchistischen Partei.

Zum Glück hat Sven Pötsch die alten Fahnen aufgehoben. Gebrauchen kann er sie jetzt ganz gut. Aus einer Tip-Plastiktüte kramt er die zerknautschten schwarzrotgoldenen Symbole mit Hammer, Sichel und Ährenkranz. „Die sind einfach wichtig, um etwas zu symbolisieren, sonst versteht ja keiner, um was es hier geht.“ Einiges sei auch in der DDR wirklich ätzend gewesen. Und heute? Vieles ist nicht anders. Was zum Beispiel? Das Sozialsystem. Was ihm gefällt? Na ja, vor allem die kommerziellen Sachen. Seine neue Levi's zum Beispiel.

Katrin Kühn und Mario Staritz sitzen außerhalb des inszenierten DDR-Territoriums. Auf einer Bank, nicht weit vom Ford und dem Grabbeltisch mit Agitationsmaterial. Zwar sind sie extra wegen der Kundgebung gekommen, „aber das ist ja alles schlecht organisiert“. Damals, als sie noch drin waren im sozialistischen System, waren Katrin und Mario selbstverständlich bei den Jungpionieren. Pionierhemd, Pioniertuch und DDR-Fahne haben sie aufgehoben, „vielleicht wird es noch mal gebraucht“. In der DDR sei das Leben sicherer gewesen, sagt Mario. Die Jugend war aufgehoben, immer beschäftigt, die Preise, beispielsweise für Sportveranstaltungen, waren fair. „Weißt du, da gab es zur Hitlerjugend kaum Unterschiede. Klar, die politische Richtung war anders, aber auch im Sozialismus waren die Jugendlichen immer beschäftigt.“

Katrin Kühn und Maria Staritz sind heute nicht politisch aktiv. „Das bringt nicht viel, auch nicht in einer kleinen Partei.“

Die Veranstalter vom Nationalkomitee Freie DDR schreien Parolen in den Feierabend. Wessi Egon Schansker sagt: „Das soziale Desaster, das der faschistoide Anschluß bewirkt hat, betrifft alle DDR-Bürger. Sie wollen nicht unter dem Imperialismus leben.“ Der Schwabe Ernst Wollweber legt nach: „Nur neun Prozent der DDR-Bürger fühlen sich als Bundesbürger.“

Was ist Heimat? Katharina Sonntag zieht an der „Club light“ und sagt: „Heimat ist für mich eine sozial gerechte Gesellschaftsordnung“. Berlin sei ihre Heimat, und Mecklenburg-Vorpommern. Deutschland sei es nicht. Und dieser 7. Oktober? Was ist das? „Ein Gedenktag. Da hat man etwas zu Grabe getragen.“ Der 7. Oktober zu DDR-Zeiten, das sei noch ein Feiertag gewesen. Die DDR habe eine Ordnung in ihren kulturellen Feierlichkeiten gehabt. Heutige Feiertage, wie der Tag der deutschen Einheit, seien doch nur Freß- und Sauffeste.