Auf zur Volkszählung

■ Aktion in Südafrika soll verläßliche Daten für Strukturplanung liefern

Johannesburg (taz) – In ganz Südafrika fanden gestern abend Straßenparties der besonderen Art statt. Auf Staatskosten wurden Obdachlose verköstigt – unter der Bedingung, daß sie einen Fragebogen ausfüllten oder, wenn sie nicht lesen und schreiben können, die entsprechenden Angaben machten. Niemand in Südafrika weiß, wie viele Obdachlose es gibt. Allein eine Million Familien, so wird geschätzt, leben in Slumhütten. Bei einer durchschnittlichen Familiengröße von sieben Personen macht das sieben Millionen bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung zwischen 42 und 45 Millionen.

Eines der größten Probleme der neuen Regierung sind fehlende Daten über die „Regenbogennation“. Jegliche Infrastrukturplanung, der Aufbau der Townships, das Wohnungsbauprogramm, beruhen bislang auf groben Schätzungen. Um verläßlichere Daten zu bekommen, findet seit gestern die erste Volkszählung im demokratischen Südafrika statt. Das erste Mal sollen alle erfaßt werden.

Derzeit wird mit Daten von 1991 gearbeitet. Damals war das Staatsgebiet durchsetzt von zehn sogenannten Homelands, Gebieten, die die Apartheid-Regierung als halb oder ganz unabhängig betrachtete. Auch innerhalb Südafrikas wurden Daten fast nur in weißen Haushalten erhoben, der Rest wurde geschätzt. Bis heute weiß niemand, wie viele Menschen in den wieder integrierten Homelands leben. Um zu planen, wie viele Schulen, Krankenhäuser und öffentliche Verkehrsmittel das Land braucht, und wie hoch das Steueraufkommen ist, ist die Zählung von zentraler Bedeutung.

Entsprechend gering ist der Widerstand gegen die Erhebung. Das wichtigste Wahlversprechen des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) unter Nelson Mandela war schließlich eine Verbesserung der Lebensverhältnisse für die schwarze Bevölkerungsmehrheit. Mandela selbst hatte immer wieder dazu aufgefordert, an der Zählung teilzunehmen. Bis Ende Oktober verteilen knapp 100.000 Zähler die Fragebögen im ganzen Land. Gefragt wird nach Alter, Geschlecht, Familienstand, Religion, Bildungsstand, ökonomischen Verhältnissen – und immer noch nach der Rasse. Erste Ergebnisse sollen Anfang nächsten Jahres, eine endgültige Auswertung im November 1997 vorliegen. Kordula Doerfler