„Heißes Herz, kalter Verstand“

■ Immer noch ungewöhnlich: Frau trainiert Männer. Birgitt Geißler macht es: Die 43jährige Medizinerin betreut die Regionalliga-Handballer des HSV

Sporthalle Wandsbek, Mittwoch abend, kurz vor halb neun. Birgitt Geißler, Trainerin der Handball-Männer des HSV, ist ein wenig verdutzt. Ein Fotograf würde gern ein Mannschaftsfoto machen – mit der 43jährigen im Mittelpunkt. Ihre Schützlinge sollen im Halbkreis um sie herum hocken und mit dem Arm auf die Übungsleiterin weisen. „Da müssen Sie aber auch die anderen fragen“, erklärt Geißler lachend, die seit Saisonbeginn den Regionalligisten trainiert. Ihre Spieler haben nichts dagegen, der Knipser bekommt sein gewünschtes Motiv: Eine Frau unter lauter Männern.

Birgitt Geißler beginnt mit dem Training. Viermal pro Woche bittet sie zu den Übungseinheiten. Daran ändert sie auch vor dem Pokalspiel am kommenden Dienstag nichts, obwohl der Gegner ein ganz besonderes Kaliber ist: Magdeburg, der zwei Klassen höher angesiedelte Titelverteidiger. Der Bundesligist ist der klare Favorit – natürlich.

Nach der vergangenen Saison, in der wieder einmal der Aufstieg in die zweite Liga verpaßt wurde, verließen etliche Leistungsträger die SG Hamburg. Die Spielgemeinschaft, zu der sich der HSV und der TV Billstedt zwecks Bündelung der Kräfte zusammengeschlossen hatten, brach wieder auseinander. Kein Geld mehr vorhanden, die Marketingfirma der SG hatte außer Versprechungen nicht mehr viel zu bieten.

Zu Beginn dieser Serie gab es keine falschen Versprechungen. Die Spieler wissen, daß Siegprämien nicht drin sind. Der Etat von 40 000 Mark reicht gerade aus, um die Fahrkosten zu decken, das Gehalt für Trainerin und Physiotherapeuten, die Schiedsrichterkosten etc. pp. Aber Erfolgsprämien hätten auch noch nicht ausgezahlt werden können. Die ersten drei Punktspiele gingen allesamt verloren. Das Saisonziel ist ohnehin bescheiden: der Klassenerhalt.

„Um den Aufstieg in die zweite Liga zu schaffen, brauchte man 100 000 bis 150 000 Mark“, sagt Ilija Eplinius, Leiter der Handball-Abteilung, „mit diesem Geld könnte man zwei erfahrene Spieler bekommen.“ Doch das HSV-Präsidium unter Uwe Seeler, chronisch geizig wie zuvor auch beim Volleyball oder Eishockey, rückt kein weiteres Geld heraus. Uns Uwe & Co. haben sich zwar für das Spiel gegen Magedburg angesagt. Mehr als eine symbolische Geste, die nichts kostet, ist es aber wohl nicht.

Mehr Geld sei dringend notwendig, findet auch Geißler, aber nicht für neue Spieler. „Die richten vielleicht den neugewonnenen Zusammenhalt zugrunde“, argwöhnt die Ärztin, die zuvor Jugend-Trainerin beim ehemaligen Frauen-Bundesligisten TuS Alstertal gewesen war. „Wenn ich 100 000 Mark zur Verfügung hätte, würde ich erstmal neue Trikots und Jogging-Schuhe für die Spieler kaufen.“ Ein Bus für die Auswärtsfahrten wäre auch nicht schlecht.

Birgitt Geißler glaubt, daß die Mannschaft besser als ihr derzeitiger Tabellenstand ist: „Taktisch und spielerisch haben wir was drauf. Aber wir müssen lernen, über die volle Spieldauer zu fighten.“ Beim Zusammenspiel hapere es noch und auch, wenn es darum ginge, einzelgängerische Torwürfe zu vermeiden und solange zu warten, bis eine hundertprozentige Gelegenheit herausgespielt wurde. Eben so zu agieren, wie sich Birgitt Geißler selbst charakterisiert: „Heißes Herz, kalter Verstand.“

Es gebe Trainer, die mehr Erfahrung hätten und ausgebuffter seien. Von denen möchte sie lernen. „Denn auf der Bank“, sagt sie, „zaudere ich manchmal zu lange. Vielleicht müßte ich risikofreudiger sein und während des Spiels schneller die Taktik wechseln.“

Es läuft die Schlußphase des Trainings. Am Kreis wird hart gearbeitet. „Bitte die Verteidiger aggressiver an den Mann gehen!“ oder auch „Schneller zum Ball!“ Mindestens dieser Einsatz wird auch im Pokalspiel vonnöten sein. Gegen Magdeburg wünscht sie sich, daß die Mannschaft „gut aussieht, sich teuer verkauft und 60 Minuten fightet“. Das hinge aber auch davon ab, wie die Gäste aufgelegt seien, die vor einigen Wochen den deutschen Meister THW Kiel besiegt hatten. „Die könnten“, schwant Geißler Böses, „als die eindeutig Überlegenen auch so spielen, daß sie uns nicht ein einziges Mal zum Spiel kommen lassen.“ Keine schöne Vorstellung.

Sönke Mones