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Die Sonne ist unser Motor

■ Die taz geht in die Luft (Teil 3): Diesmal begleitete sie die Segelflieger im Thermik-Eldorado von Westertimke und vollführte schöne Loopings – mit dem Herz in der Hose

Ein Segelflugzeug am Himmel, das bringt ins Schwärmen: diese Eleganz, diese Leichtigkeit! Wie eine Nachricht mitten aus der Seele, hinein ins Unendliche, ins grenzenlose Blau. Wer aber zum ersten Mal so einen Himmelsstürmer besteigt, bemerkt, daß diese Leichtigkeit ihren Preis hat: Die sparsame Einrichtung eines Segelflugzeugs ist nicht gerade vertrauenerweckend. Fatal erinnern die bunten Holzknöpfe, bloßliegenden Seile und wackligen Hebel an das Innere eines Tretautos.

„Am besten hier nichts anfassen“, mahnt der Fluglehrer, Martin Ryder. Leichter gesagt als getan. Da ist ein Menschenkörper, wenn auch normalgewichtig ,in die Enge zu falten! Du knotest die Beine unter das Cockpit und fragst dich, wie Dicke hier reinkommen. „Gar nicht“, lautet die lapidare Antwort des Profis. „Das ist kein Sport für Dicke.“ Die müssen auf den Ultraleichtflieger ausweichen oder gleich Ballon fahren.

Halb liegend hat dein Corpus im Schalensitz Platz gefunden. Die Anweisung, wie der Fallschirm funktioniert, ist irgendwie an dir vorbeigeweht. Schließlich war der Schock groß genug, daß man so was anlegen muß, denn: wie sollte man sich aus diesem Hartfaserkokon jemals herauslösen können? Ach so, indem man die Kanzel abwirft. Dafür sind zwei Hebelchen Marke Trixbaukasten nach vorne zu legen. Immerhin bieten die Gurte des Fallschirms Sicherheit. Nur kurz löst du deinen Fesselgriff. Zu einem letzten Adieu an die, die auf der Erde zurückbleiben.

Dabei hast du Glück mit dem Wetter. Es ist schlecht. So schlecht, daß ein Start an der Winde, die dich auf drei- bis vierhundert Meter hinaufkatapultiert, unmöglich ist. Das, erklärt der auf Trost bedachte Fluglehrer, sei für Anfänger „schon eine Herausforderung“. Ach was, denkt die Chronistin in blindem Vertrauen. Kann auch nicht so schlimm sein. Sie genießt es, vom Motorflugzeug langsam und behutsam auf etwa 1.000 Meter Höhe gezogen zu werden.

Was für ein Ausblick! Je mehr du Gottes Thron näherrückst, desto kleiner wird Westertimke. Dort bei Tarmstedt, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Bremen, liegt der Flughafen der Segelfluggruppe Bremen e.V. Er ist mit seinen 37 Jahren einer der ältesten von insgesamt etwa 900 Segelflugvereinen Deutschlands. Ein Jahr lang hatten Segelflugbegeisterte aus Bremen und umzu ein schmales Stück Heide von Hindernissen befreit. Sie errichteten eine Holzbaracke, und am 11. Juli 1959, acht Jahre, nachdem in Deutschland das Segelfliegen überhaupt wieder erlaubt war, war es so weit: die Flagge des Vereins wurde gehißt, und Bürgermeister Rottenbach wünschte der startenden Rhönlerche „guten Flug und allzeit glückliche Landung“.

Heute ist der Flughafen Tarmstedt/Westertimke bundesweit bekannt. Hier werden Deutsche Meisterschaften ausgetragen, finden Kunstfluglehrgänge statt, übt sich die Bundesjugend im Vergleichsfliegen, finden Ausbildungs- und Leistungslehrgänge statt. Die SegelflugsportlerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet wissen die Großzügigkeit des Vereins zu schätzen, der inzwischen über ein weiträumiges Gelände, eigene Unterkünfte, über acht Segelflugzeuge, einen Motorsegler und eine Schleppmaschine verfügt.

Dieser „Reichtum“ wurde wesentlich durch ehrenamtliche Arbeit angehäuft. Die hat Tradition im Verein. Jedes der rund 100 Mitglieder verpflichtet sich zu 20 bis 30 Stunden Arbeitseinsatz im Jahr: Es gilt, das Areal sauberzuhalten, die Flugzeuge zu warten, Hilfe bei Start und Landung zu leisten, Telefon und Wetterdienst zu betreuen. „Wer für eine Stunde auf dem Gelände auftaucht, um mal eben zu fliegen, ist bei uns fehl am Platze“, heißt es bei der SFG.

Das gemeinsame Arbeiten verbindet die Generationen: 14jährige lernen von 60jährigen das Fliegen, dafür übernehmen die Kids Aufgaben im Gelände, die den Älteren schwerfallen. Dadurch wird das Segelfliegen auch für die Jugendlichen zum erschwinglichen Sport: Für rund 500 Mark jährlich sind sie dabei, ein Betrag, in dem die Ausbildungskosten enthalten sind.

So billig macht es keine gewerbliche Flugschule. Dafür dauert die Ausbildung im Verein länger. Zeit jedoch, in der die Jungen für's ganze Leben lernen, meint Martin Ryder, der selbst quasi auf dem Flughafen Tarmstedt groß geworden ist. „Einerseits“, gesteht der 29jährige, „haben wir die gleiche Meierei wie ein Kaninchenzüchterverein“, andererseits lerne man, aufeinander Rücksicht zu nehmen und Toleranz zu üben. „Ein Konzept, das eigentlich nicht mehr in die heutige Zeit paßt“, meint Physikstudent Jean Kauss.

Martin Ryder beherrschte schon als 14jähriger das Segelfliegen. Er lernte es von seinem Vater. Heute gehört er zu Deutschlands besten Langstrecken-Segelfliegern. Vor einigen Wochen flog er bis zur Mecklenburger Seenplatte und absolvierte dabei in 7,5 Stunden eine Strecke von 620 Kilometern. „Und das fast nur mit Sonnenergie“, setzt Ryder nach, der bei dem Flug ganze 2,5 Liter Sprit für den Start verbrauchte.

Das freilich funktioniert im Flachland nur bei bester Thermik. In dieser sieht man für gewöhnlich die SegelfliegerInnen ihre eleganten Kurven emporziehen. Thermik, das sind aufsteigende Luftmassen, die wärmer sind als die sie umgebende Luft. Bescheint die Sonne etwa einen Acker, dehnt sich die erwärmte Luft aus und löst sich vom Boden ab. Diese „Blubber“ ziehen sich zu einer Blase zusammen, die wie eine Röhre gen Himmel steigt. Ein sicheres Anzeichen für aufsteigenden Luftmassen sind die Cumuluswolken. Unter diesen läßt sich's bestens segelfliegen.

Wohlgemerkt unter, nicht etwa in den Wolken. Dort lauern die Gefahren, denn anders als ein Motor- verfügt ein Segelflugzeug nicht über die da gefragten Orientierungsinstrumente. Das heißt für die PilotInnen, blind durch den Wolkennebel zu fliegen. Wer will das schon? Darum gilt es, das aufsteigende Luftpaket im richtigen Moment zu verlassen und sich dabei bereits auf die Suche nach der nächsten Thermik zu begeben. So hüpft man quasi von Wolke zu Wolke. Jeder Weg dorthin bedeutet Höhenverlust, der Segelflieger opfert Höhe und erhält dafür Strecke. Ein modernes Segelflugzeug mit einer Spannweite von 25 Metern kann aus einer Höhe von 1.000 Metern gut 60 Kilometer gleiten.

Thermik und Gleitwinkel bestimmen auch die Fluggeschwindigkeit. An schlechten Tagen erreicht ein Segelflugzeug durchschnittlich 30 Stundenkilometer, an guten 100, das bringt Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 250 Stundenkilometern. „Das macht schon Spaß, wenn man an einer Cessna vorbeizieht“, grient Ryder. Die große Angst der LaiInnen vor „Luftlöchern“ ist unberechtigt. Die nämlich gibt es nicht. Es gibt nur Auf- und Abwinde, die das Flugzeug durchfliegt. Ist kein Aufwind mehr vorhanden, der Flugplatz aber noch weit, macht man keine „Notlandung“, sondern eine „Außenlandung“ auf einem Acker. Selbst die ist selten, versichert Ryder: Er hat bei 1.500 Flugstunden nur 30 Außenlandungen gehabt.

Heute kommt die 31, bist du dir sicher. Denn soeben hat Martin Ryder, den nach eigenen Worten der Kunstflug gar nicht interessiert, den Steuerknüppel an sich gerissen. Folge: Das eben noch ruhig dahinschwebende Flugzeug bäumt sich auf und, was macht der bloß, Hilfe! Du hängst in den Gurten, dein Gesicht wird extrem geliftet, die Zähne scheinen ruckartig nach hinten verschoben zu werden, an deinem Auge schweben Himmel und Erde und wieder Himmel vorbei. Dies war ein perfekter Looping, „schön rund geflogen“, meint der Meister. Kaum hast du dich erholt, setzt der nochmals an. Wieder streckt der Flieger seine Nase senkrecht hoch. Und hoch. Und ... jetzt geht nichts mehr, die Zeit steht still, das Flugzeug kippt zur Seite weg. Das wars, denkst du und: meinen teuren Füller bekommt mein Schatz, Mutter erbt das Bügelbrett zurück. „Das ist jetzt ein Moment kompletter Schwerelosigkeit“, ertönt die entfernte Stimme Martins. Kann das sein, dieser Mensch lacht! „Das war ein turn“, erklärt er, nachdem er die fallende Maschine aufgefangen hat.

Kein Zweifel, er ist ein Besessener. Beinahe jeden Urlaub verbringt der Germanistikstudent im Segelflugzeug. Er fliegt in Frankreich, Spanien, in den Alpen. Dort enstehen die Aufwinde beim Hangflug oder bei der Welle – Luftschwingungen, die von den Bergen angeregt werden. Dort hinein sollten sich nur absolute Profis wagen, denn heftige Turbulenzen schütteln das fragile Flugzeug so durcheinander, daß die langen Flügel einen Meter hochklappen können.

Segelflieger-Latein? „Das gibt es nicht“, schwört Martin Ryder. Auch seine Geschichte vom Angriff der Adler sei wahr: „Die haben uns die ganze Haube zerkratzt!“ Überhaupt sei faszinierend, wie die Vögel auf ihre technischen Nachbauten reagieren: Störche beobachten diese sehr genau und wissen scheinbar um ihre Überlegenheit, auch in den Wolken fliegen zu können. Sie sind ausgezeichnete Thermikflieger, ebenso die Schwalben. Bussarde hingegen sind trotz ihrer Flugschulen eher schwerfällig.

Aber immerhin lautlos. Nicht so der Mensch: Anders als erwartet, ist es in seinem Segelflugzeug tierisch laut. Der Wind zerrt lautstark am Gestell, das Gehäuse klappert, diverse Geräte schnarren. „Stille?“, fragt Martin Ryder denn auch entgeistert, „die haben wir hier oben nicht.“ Dafür aber die große Freiheit, die schon deswegen so echt ist, weil „man dreidimensional fliegt und denkt“, erklärt Ryder. Das zu erleben, verzichtet der Kettenraucher sogar stundenlang auf seinen Nikotin. Auch Alkohol ist nicht erlaubt, selbst wenn das Glücksgefühl mit dem Aufwind korreliert.

Beengungen werden allein spürbar, wenn die Blase auf einem Langstreckenflug nicht mehr halten will: Männer müssen dann (doch) zur Flasche greifen, Frauen zur Windel. Solche Widrigkeien aber nehmen sie für ihr Hobby in Kauf. Und wer mal dabei ist, der hört mit dem Segelfliegen so schnell nicht auf. Dora Hartmann

Weitere Auskünfte erteilt die SGF unter 0421/270942

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