Eine Idylle mit Knacks

■ Jahrelang haben die Kleingärtner in Karlshorst an ihren Datschen gebastelt. Jetzt sollen ihre Gärten den Wohnungen für Beamte der Bundesregierung weichen

Für Familie Militz hat die Idylle einen Namen. Kleingartenanlage „Biesenhorst II“, Wiesengrundstraße. Hier, am grünen Rande von Karlshorst, haben sich Gisela und Peter Militz ein zweites Zuhause geschaffen. Recht groß, 430 Quadratmeter, mit einem kleinen, aber feinen Wochenendhaus, einem Swimmingpool und vielen Sauerkirschbäumen. Im Badezimmer gärt in einem großen Ballon selbstgemachter Sauerkirschschnaps. „Ne, da nimmt man keenen Nordhäuser Doppelkorn zu, sondern fährt nach Polen und holt sich 95prozentigen.“ Das sei auch viel billiger.

Das Wochenendleben der Familie Militz spielt sich seit zwölf Jahren in Parzelle 10, Kleingartenanlage „Biesenhorst II“, ab. 1984 haben sie das Grundstück bekommen, ein Stück Brachland, „mehr war das nicht“. Stein für Stein entstand ein Wochenendhaus, bezahlt wurde vierzehnfünfzig, soviel kostete zu DDR-Zeiten die begehrte Flasche Goldbrand. „Dafür hat man ja fast alles gekriegt“, erinnert sich Gisela Militz. Handwerker, Zement, nur die Fenster eben nicht. Für die hat man schon zu Ostzeiten zwischen 1.000 und 2.000 Mark bezahlt. Für die Pacht legten sie damals acht Pfennig pro Quadratmeter hin, alles in allem 60 bis 70 Mark. „Heute zahlen wir 600 Mark.“

Geackert haben Gisela und Peter Militz jahrelang für ihr Glück. „Als Frau habe ick Schubkarren bis zum Umfallen geschoben, habe Steine rangeschleppt, ick glaube, fast 5.000 Stück.“ Eine Klärgrube wurde gebaut, Stromkabel verlegt, 80 Meter tiefe Löcher gebuddelt. „Fix und alle war ick manchmal.“ Gut 40.000 Mark haben Militzs in das kleine Häuschen gesteckt, nicht eingerechnet Mühe und Schweiß. Aber, sagt Gisela Militz heute: „Ick will nich' klagen. Das alles habe ick gern gemacht. Ick wußte ja, wofür.“ Zu schön war die Aussicht, eine Alternative zu der Dreizimmerwohnung in Marzahn zu haben. Vier Kilometer sind es bis nach Karlshorst. „Da brauch' ick nich' mal in den vierten Gang schalten.“

Die Biesenhorster Idylle hat einen Knacks bekommen. Die Nordspitze der 18 Hektar großen Kleingartenanlage wurde vom Senat im Flächennutzungsplan als Bauland ausgewiesen; in der ersten Bauphase würde das bedeuten: 120 der insgesamt 286 Parzellen müssen weichen. Geplant ist, auf dem Karlshorster Areal, das sich aus Ex-GUS-Flächen und landeseigenen Grundstücken zusammensetzt, 2.500 Wohnungseinheiten, darunter 400 Einfamilienhäuser, für Bonner Beamte zu errichten. „Wir befürchten, daß es dabei nicht bleibt“, sagt Heike Harbott, die Vorsitzende des Kleingartenvereins. „Die Bonner werden Kindergarten, Schule und Einkaufsmöglichkeiten brauchen.“ Gefährdet sei praktisch die ganze Anlage.

Die Kleingärtner wollen das Plattmachen ihrer Idylle nicht einfach so hinnehmen. „Wir werden uns wehren. Wir müssen zusammenhalten. Wir kämpfen“, steht auf Plakaten und auf Transparenten: „Keine Beamtenwohnungen in Karlshorst/Ost“. Seit Tagen trägt die ganze Anlage Trauerflor.

Am Samstag haben die Kleingärtner eine große Protestkundgebung organisiert. „200 Leute waren da“, freut sich Heike Harbott. Die Solidarität sei groß gewesen, aber die Unsicherheit noch viel größer. Wann kommen die Planierraupen? Wird, wenn überhaupt, eine Entschädigung gezahlt? „Die vom Bezirk haben uns klar gesagt, daß es in Lichtenberg keine Ausweichflächen gibt“, sagt Heike Harbott. Was bedeuten würde: Die Kleingärtner müßten finanziell entschädigt werden. Doch keiner der Laupenpieper glaubt daran, daß sie die Investitionen, meist zwischen 30.000 und 50.000 Mark, auch in dieser Höhe zurückbekommen werden.

Mit dem Kampf um die Kleingartenanlage „Biesenhost II“, der zweitgrößten in Lichtenberg, solle ein Exempel statuiert werden, sagt Heike Harbott. Denn der Trend in Berlin gehe eindeutig dahin, immmer mehr Grünflächen aus der Stadt zu verbannen. Derzeit gibt es in der Hauptstadt auf einer Gesamtfläche von 3.500 Hektar rund 83.500 Parzellen, im Osten 36.300, im Westen 47.200. Ziel des Senats ist es, langfristig 3.100 Hektar zu erhalten, das entspricht 80.000 Parzellen.

Daß sie ihre Scholle verlieren werden, daran mag Familie Militz noch nicht so recht glauben. Bis 2004 hat die Kleingartenanlage „Biesenhorst II“ Bestandsschutz, „bis dahin kann noch viel passieren.“ Nur, und das weiß Gisela Militz auch: „Wenn die Bonner hierher wollen, dann kommen sie auch. Das war im Sozialismus nicht anders. Da wurden die kleinen Leute auch nicht gefragt.“ Jens Rübsam