Er singt die alten, intimen Lieder

■ Hatay Engin sieht sich in der Nachfolge des verstorbenen türkischen Sängers Zeki Müren

Auch Hatay Engin hat Herzbeschwerden. Im türkischen Kabelfernsehen hat er all die Sondersendungen über den Tod des Sängers Zeki Müren verfolgt, seine alten Filme, die Totenfeier. Hatay ist krank geschrieben und empfängt keine Besucher. „Vor einem Jahr ist meine Mutter gestorben und nun Zeki Müren. Nächtelang habe ich nur geweint.“

Nur Safiye Ayla lebt noch, hochbetagt, die frühere Lieblingssängerin Atatürks. Bei ihr hat Hatay die alten Kunstlieder der Osmanen kennengelernt und ihrem Mann, Muhiddin Targan, dem gefeierten ud-Virtuosen, dem Sohn des letzten Serifen von Mekka, aus der Zeitung vorgelesen, als im Alter sein Augenlicht nachließ. „Safiye hat mich wie eine Mutter angenommen“, erzählt Hatay. Später das Gesangsstudium am Istanbuler Konservatorium bei Nevzat Atlig, der die alten, intimen Lieder in riesige Symphonien verwandelte, und bei den ersten Dirigentinnen dieser neuen Musik, Süheyla Altmisdört und Melahat Pars. Dann nach Deutschland. „In der Türkei haben sie alle Millionen gemacht“, ihre Freundin Bülent Ersoy und natürlich Zeki Müren, die Sonne der Kunstmusik. Aus der alten „Sanat Müzik“, der „Kunstmusik“, mit ihren Improvisationen im komplizierten Tonartensystem der Makame, wurde eine Kultur der Sprache. Zeki Müren rezitierte seine Texte, und in den Städten verliebten sich die Intellektuellen in sein Türkisch. Spätestens in diesen sechziger Jahren war die osmanische Gesangskultur endgültig untergegangen.

„Vor zehn Jahren kam Zeki extra meinetwegen ins Gazino des „Türkischen Bazars“ in Berlin, um mein Konzertprogramm zu hören“, erzählt Hatay stolz und traurig und liebevoll. „Zum ersten Mal, hat er gesagt, treffe ich jemand, der beim Sprechen und Singen meine Stimme imitieren kann. Ich bin der einzige Nachfolger von Zeki Müren.“

Hatay Engin ist krank und erschöpft. Beinahe zwanzig Jahre der einzige richtige Sanat-Müzik- Sänger in Deutschland; längst gibt es in Berlin kein gutes Musikrestaurant mehr: Die Türken sind arbeitslos und müssen sparen. Seit fünf Jahren also jedes Wochenende von Berlin nach Hamburg, zwei Stunden schminken, Auftritt von Mitternacht bis drei Uhr früh, um sieben Uhr morgens ist er wieder zu Hause. Fünf Jahre sind genug. Kommende Woche singt er bei einer Feier des türkischen Konsulats in Hannover, Silvester auf einer Gala in Berlin; nächstes Jahr vielleicht wieder ein paar Wochen in New York. Martin Greve