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AKW Krümmel: ein Leukämierisiko

■ Bundesverwaltungsgericht: Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung sind womöglich zu hoch

Hannover (taz) – Im Rechtsstreit um das AKW Krümmel kommen die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung und damit der Normalbetrieb des Kraftwerks auf den juristischen Prüfstand. In der schriftlichen Begründung seiner jüngsten Krümmel- Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht jetzt auch die Dosisgrenzwerte der Strahlenschutzverordnung in Zweifel gezogen. Die Urteilsbegründung aus Berlin wirft explizit die Frage auf, „ob die Dosisgrenzwerte wegen neuer Erkenntnisse im Bereich des strahlungsbedingten Leukämierisikos nicht mehr dem Gebot der Schadensvorsorge genügen“.

In seiner Entscheidung vom 21. August hatte das Bundesverwaltungsgericht ein Krümmel-Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig aufgehoben und zu einer erneuten Verhandlung nach Schleswig zurückverwiesen. Die niedersächsische BUND-Vorsitzende Renate Backhaus hatte gegen eine Änderungsgenehmigung geklagt, die neuartige Brennstäbe in dem Kraftwerk zuließ.

In der schriftlichen Urteilsbegründung betont der elfte Senat, daß jede Änderungsgenehmigung für alle betroffenen Anlagenteile die grundsätzlichen Sicherheitsfragen noch einmal neu stellt. Bei einer wesentlichen Änderung seien alle direkt oder mittelbar betroffenen Anlageteile erneut darauf zu überprüfen, ob sie nach gegenwärtigem Kenntnisstand noch dem Prinzip der Schadensvorsorge entsprechen.

Das Bundesverwaltungsgericht gibt dem Oberverwaltungsgericht auch in einigen Punkten vor, wie es den möglichen Zusammenhang zwischen den Leukämiefällen in der Elbmarsch und dem Reaktorbetrieb nun zu untersuchen hat. Dabei macht das Gericht auch nicht vor den Kompetenzen der Bundesregierung halt, die die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung festlegt. „Das Gebot der Schadensvorsorge und die staatliche Schutzpflicht lassen es nicht zu, daß der Verordnungsgeber an einem Schutzkonzept festhält, wenn dieses durch wissenschaftliche Erkenntnisse überholt ist“, heißt es in der Urteilsbegründung.

Das Oberverwaltungsgericht muß nun prüfen, ob die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung „Erkenntnisse, die sich bei der Untersuchung der Leukämie ergeben haben“ negieren. Die Richter müssen sich auch mit der Frage befassen, ob das AKW schon im Normalbetrieb, bei Einhaltung der Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung, für die Leukämiefälle in der Umgebung verantwortlich zu machen ist.

Die Richter sollen auch untersuchen, ob die Leukämiehäufung nicht doch auf einen bisher nicht bekannten Störfall zurückgeht. Schließlich könnten die beantragten Änderungen dazu führen, daß sich ein solcher Störfall wiederhole. Außerdem wirft das Bundesverwaltungsgericht die Frage auf, ob die Genehmigungsbehörden „nach Bekanntwerden der Leukämiefälle hinreichend“ ermittelt haben. Ein Ermittlungsdefizit, so die Richter, könnte die Aufhebung der Genehmigung nach sich ziehen. Jürgen Voges

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