Teilzeitarbeiter in blauen Roben

■ UN-Seerichter warten ab morgen in Hamburg auf den ersten Fall – in provisorischem Gebäude und geliehener Amtstracht

Das Bürohaus in der Hamburger Neustadt sieht angegammelt aus. Die Büros sind nur mit den nötigsten Möbeln ausgestattet, Regale fehlen völlig. Hier residiert der Internationale Seegerichtshof der Vereinten Nationen, bis das standesgemäße Domizil im noblen Elbvorort Nienstedten fertig ist.

Der Vizepräsident des Seegerichtshofes, der Heidelberger Rechtsprofessor Rüdiger Wolfrum, stört sich wenig am Durcheinander, so beschäftigt ist er damit, die Vereidigung der Richter morgen in Anwesenheit von UN-Generalsekretär Butros Butros-Ghali vorzubereiten. Wolfrum hat bei der UN in New York gearbeitet, er kennt die Atmosphäre multinationaler Institutionen. „Die Pluralität ist essentiell für dieses Gericht“, sagt der einzige Deutsche unter den internationalen Richtern. „Allerdings wird es nicht immer einfach, mit 21 Richtern aus unterschiedlichsten Rechtskulturen gemeinsam Texte zu entwickeln.“

Das im August ernannte Gericht spricht Urteile, gegen die keine Berufung möglich ist. Das Gremium soll Rechtsstreitigkeiten über Nutzung und Erforschung der Weltmeere klären und die Einhaltung des Seerechts kontrollieren. Im Streitfall können Staaten entweder das Seegericht oder den UN-Gerichtshof in Den Haag anrufen.

Bis die Richter in Hamburg ihren ersten Fall verhandeln, wird vermutlich noch einige Zeit ins Land gehen. „Wir können in der nächsten Woche, aber auch erst im nächsten Jahr angerufen werden“, sagt Wolfrum. Er rechnet mit vier großen Fällen im Jahr, und damit ist das Gericht auch ausgelastet. Denn die Seerichter der UN sind vorläufig Teilzeitkräfte; die Weltorganisation hat für 1997 einen Haushalt für zwei Arbeitsmonate gebilligt. Sie arbeiten weiter in ihren Berufen und kommen nur nach Bedarf zusammen. Nur der Präsident des Gerichts, der Ghanaer Thomas Mensah, widmet sich ganz dem Seegerichtshof.

Knapp 9,5 Millionen Mark zahlen 102 der 185 UN-Mitgliedsstaaten für die Hamburger Richter, 1,7 davon kommen aus Deutschland. Das UN-Gremium kann von den Staaten in allen meeresbezogenen Streitigkeiten angerufen werden. Doch „diesen Begriff können Sie weit auslegen“, weiß Wolfrum. In Abgrenzungsfragen – wo verläuft eine Grenze, wem gehört eine Insel – und bei Fischereikonflikten rechnet der Vizepräsident mit nur wenigen Fällen für den Seegerichtshof. „Die Staaten lösen solche Konflikte lieber politisch als juristisch, weil dann andere Lösungen möglich sind“, sagt der Rechtsprofessor.

Daneben gibt es „klassische Probleme“, die nur juristisch gelöst werden können, beispielsweise festgesetzte Schiffe in Häfen. „Solche Fälle müssen wir innerhalb weniger Tage entscheiden und damit schneller als manches nationale Gericht“, sagt Wolfrum.

Wenn die ersten Urteile zu verkünden sind, werden die 21 Richter in eigenen meerblauen Roben international Recht sprechen. Bei der feierlichen Amtseinführung müssen Leihroben vom Verwaltungsgericht Schleswig herhalten.

Gerd Roth/Eckart Gienke