Tranceartige Entspannung

■ Durch autosuggestive Formeln oder Muskellockern in die Schwerelosigkeit

Daß die Currywurst eine Berliner Erfindung ist, dürfte sich herumgesprochen haben – sie soll auf die Imbißbudenfee Hertha Heuwer zurückgehen, die am 4. September 1948 eine Wurst zunächst mit dem Gewürzexoten bestäubte und dann in Ketchup ertränkte. Die Folgen dieser historischen Innovation, die am Stuttgarter Platz stattfand, sind sattsam bekannt.

Daß die Berliner sich aber nicht nur um das leibliche, sondern auch um das seelische Wohl der Menschen verdient machen, wird gelegentlich vergessen. Dabei war es der Berliner Nervenarzt Johann Heinrich Schultz (1884–1970), der in den Jahren 1908–1912 das Autogene Training entwickelte, um es

Autogenes Training als Ersatz für die Hypnose

zwanzig Jahre später der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorzustellen. Heute ist das Autogene Training die wohl am weitesten verbreitete Entspannungstherapie. An den meisten Volkshochschulen gibt es inzwischen Kurse. In vielen Fällen übernehmen Krankenkassen sogar die Kosten – über die genauen Modalitäten sollte sich allerdings jeder selbst informieren.

Schultz hatte sich von den damals gerade beginnenden Untersuchungen über Hypnose inspirieren lassen. Er entwickelte die Idee, daß die Patienten nicht mehr von einem Hypnotiseur abhängig sein sollten. So besteht der Kern des Autogenen Trainings darin, daß die Patienten sich – zunächst unter Anleitung – selbst in einen tranceähnlichen Zustand versetzen. Durch autosuggestive Formeln („Meine rechte Hand ist schwer“, „Mein Atem ist ruhig und gleichmäßig“ etc.) wird die Konzentration auf verschiedene Körperpartien, die Atmung, auf Wärme- und Schwereempfindungen gelenkt.

Wenn alles klappt, führen die Übungen zu innerer Ruhe und einem Zustand tiefer Versunkenheit, und erfahrene Patienten können selbst in der U-Bahn mal eben fünf Minuten wegtreten. Das erfordert aber viel Übung und ist zudem nicht jedermanns Sache.

„Einige Menschen sind mißtrauisch gegenüber den hypnotischen Zuständen, in die man sich beim Autogenen Training versetzen soll“, erklärt Frank Kerkhoff, Leiter des Bereichs Gesundheit der VHS Neukölln. „Oder sie können sich nicht so weit ,fallenlassen‘, wie das nötig wäre.“

Beatrix Wiezorrek-Günthner gehörte selbst zu denjenigen, die keinen rechten Zugang zum Autogenen Training fanden. Heute gibt sie Kurse für eine andere Entspannungsmethode: die progressive Muskelentspannung. Diese Technik ist weniger bekannt als das Autogene Training, dabei ist sie gar nicht so neu. Entwickelt wurde sie im Rahmen der Verhaltenstherapie bereits in den sechziger Jahren.

Muskelentspannung ist für Anfänger einfacher

„Progressive Muskelentspannung ist weniger mental. Um mit den Übungen zu beginnen, ist nicht so viel Konzentration nötig. Dadurch ist sie leichter zu erlernen“, erklärt Wiezorrek-Günthner den Unterschied. Die Entspannung wird nicht unter Trance herbeigeführt. Statt dessen werden nacheinander verschiedene Muskeln angespannt und dann wieder entspannt. Zu Beginn werden einige Vorübungen gemacht, damit die Patienten lernen, auch solche Muskeln bewußt zu bewegen, an die sie vorher nie gedacht haben.

Die Wirkungen der progressiven Muskelentspannung sind dabei denen des Autogenen Trainings sehr ähnlich: Streß und Anspannungen werden abgebaut, bei regelmäßigen Übungen werden die Patienten auch nach den Sitzungen ruhiger und gelassener. Zum Teil können psychosomatische Krankheiten wie Bluthochdruck, Migräne oder Rückenschmerzen gelindert oder beseitigt werden. Zudem werde, so Wiezorrek-Günthner, progressive Muskelentspannung auch in Kombination mit anderen Therapien erfolgreich eingesetzt, „zum Beispiel im Rahmen einer Schmerz- oder Rheumatherapie oder bei der Behandlung von Schlafstörungen“.

Regelmäßiges Durchführen der Übungen habe zudem, wie auch beim Autogenen Training, einen prophylaktischen Effekt – die Streßanfälligkeit sinkt im allgemeinen. Auch für die Muskelentspannung werden die Kosten von einigen Kassen übernommen.

Beide Entspannungstechniken werden bei den Gesundheitstagen der Berliner Volkshochschulen in Probekursen vorgestellt:

Autogenes Training: 26.10. von 14.00–15.30 Uhr und 27.10. von 14.00–15.30 Uhr.

Autogenes Training für Eltern und Kinder ab zehn Jahren: 27.10. von 14.00–15.30 Uhr.

Progressive Muskelentspannung: 26.10. von 10.00–11.30 Uhr und 20.00–21.30 Uhr.

Martin Kaluza