Das Stammeln des Kandidaten Bob Dole

Auch beim zweiten TV-Duell konnte Clintons Herausforderer nicht überzeugen  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es war Bill Clintons liebster Zeitvertreib und Bob Doles letzte Chance. Rund 100 Studiogäste – ausgewählt vom Gallup-Umfrageinstitut – hatten am Mittwoch abend in der Universität von San Diego Gelegenheit, den Präsidenten und seinen Herausforderer mit Fragen zu löchern. Kein Mitglied der unbeliebten Journalistenzunft durfte sich einschalten. Gewünscht war der direkte Schlagabtausch zwischen Wählern und Kandidaten bei diesem „Townhall Meeting“.

Clinton liebt solche Veranstaltungen, in der Leute Fragen stellen wie: „Herr Präsident, was werden Sie tun, damit die amerikanische Gesellschaft zusammenwächst und nicht auseinanderdriftet?“ Mit zwei, drei Sätzen und Gesten hat er die Veranstaltung in eine heimelige Kombination aus College- Seminar und Kleingruppentherapie umgewandelt.

Bob Dole liebt solche Veranstaltungen nicht, weil sie noch deutlicher seine Angewohnheit bloßstellen, in unvollständigen Sätzen zu reden. Außerdem kam das Format der zweiten und letzten Fernsehdebatte zwischen den beiden Spitzenkandidaten überhaupt nicht seiner Absicht entgegen, Bill Clinton nun doch noch als Präsidenten mit dem ethischen Koordinatensystem eines Gebrauchtwarenhändlers und einer potentiell korrupten Administration zu entlarven. Denn Bürger in „Townhall Meetings“ mögen es nicht, wenn man sie zu Augenzeugen von Schlammschlachten macht.

Gemessen an diesen Widrigkeiten hielt sich der Republikaner am Mittwoch abend überraschend gut. Er verblüffte das Publikum im Studio und vor den Fernsehschirmen mit relativ flüssigen Redebeiträgen, ein paar Witzen und gut plazierten Attacken gegen die „Charakterschwächen“ Bill Clintons – angefangen von der „Whitewater“-Immobilienaffäre über dubiose Wahlkampfspenden an das Clinton-Lager durch Mittelsmänner eines indonesischen Konzerns bis zu „Filegate“. Mit letzterem ist die allerdings skandalöse ehemalige Praxis des Weißen Hauses gemeint, FBI-Akten von über 700 Personen, darunter zahlreichen Republikanern, anzufordern.

Doch Clinton hielt sich an die Devise seiner Berater, präsidial zu wirken, die Angriffe mit keinem Wort zu würdigen und statt dessen Doles Wunder-Plan zur Ankurbelung der Wirtschaft – eine 15prozentige Steuersenkung bei gleichzeitigem Ausgleich des Defizits – auseinanderzunehmen. „Das reißt ein riesiges Loch in den Haushalt.“ Statt dessen bot Clinton ein Paket kleiner Steueranreize zusammen mit sozialen Verbesserungen für Arbeitnehmer – zum Beispiel die Möglichkeit, Überstunden in Zukunft nicht nur in Geld, sondern in „Freizeit mit der Familie“ umzuwandeln. Gemessen an seinen Reformvorhaben aus dem Wahlkampf 1992 sind das allerdings sehr kleine Brötchen, die der Präsident vier Jahre später bäckt.

Doch Clinton kam wieder einmal zugute, daß sein Kontrahent in der Minute der Wahrheit ins Schleudern geriet. Auf die Frage eines Zuschauers, wie er denn das Steuergeschenk finanzieren will, fiel er in seine abgehackte Morse- Sprache zurück. Das „Stammeln des Kandidaten“, so bemerkte nach der Debatte George Will, Kolumnist, Fernsehkommentator und erklärter Anhänger der Republikaner, könne wohl nur bedeuten, daß Dole „seinen eigenen Wirtschaftsplan nicht versteht.“

Wills offene Kritik „seines“ Kandidaten sagt einiges über die Resignation im rechten Lager aus: Die meisten haben diese Präsidentschaftswahlen längst abgeschrieben – und immer weniger scheuen sich, dies auch in der Öffentlichkeit zuzugeben. Statt dessen spekuliert man über Jack Kemp als möglichen „Hoffnungsträger“ im Jahr 2000, der mit einer Mischung aus „supply side“-Ökonomie und einem Herz für Kinder, Schwarze und andere Minderheiten ein neues Image der Republikaner prägen soll.

Was das Wahljahr 1996 betrifft, so erscheint nur noch eine Frage spannend: Verlieren die Republikaner ihre Mehrheit im Kongreß? Newt Gingrich, vor zwei Jahren noch Stratege der „Republikanischen Revolution“ und selbsternannter „Premierminister“, ist in seinem Wahlkreis im Bundesstaat Georgia gegen einen Demokraten massiv unter Druck geraten. Im strategisch wichtigen Kalifornien rechnen die Demokraten nicht nur mit einem klaren Sieg Clintons, sondern auch mit den Wahlerfolgen mehrerer Kandidaten für das Abgeordnetenhaus.

Im Senatswahlkampf droht unter anderem Jesse Helms, Gallionsfigur des rechten Parteiflügels, eine Niederlage gegen seinen Herausforderer Harvey Gantt, einem Afroamerikaner. Allerdings prognostieren viele Wahlexperten, daß die US-Amerikaner sich bei der Stimmabgabe doch für das Modell des „Ausgleichs“ entscheiden: Ein Demokrat im Weißen Haus, die Republikaner im Kongreß. Noch spannender dürfte allerdings die Frage sein, wie viele Bürger am 5. November überhaupt wählen gehen.

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