Das Ende ist nah!

■ Weltuntergangsstimmung per Satellit bei den Bremer Adventisten / Gott läßt die Welt untergehen, aber er gibt ein Mittel, seine Botschaft in die Welt zu tragen

remen, Mittwoch abend, 19.30, Osterdeich 42. „Es werden Hungersnöte und Erdbeben und Überschwemmungen sein, schon heute sterben 57 Millionen Menschen jährlich an Unterernährung.“ Nackte, schwarzhäutige Kinder mit Wasserbäuchen, eine Sequenz eingestürzte Highways, dann überschwemmte Reisfelder. „Aber Jesus sagt, er wird wiederkommen, und wie wir sehen, naht die Zeit.“ Mark Finley reckt die Arme Richtung Kamera, blättert wahllos in seiner dunkelroten Bibel, klappt sie wieder zu. „Und hier ist das zehnte Zeichen: der moralische Niedergang. Teenagersex, Pornographie...“.

Noch vierzehn Zeichen für Jesu Wiederkehr trägt Mark Finley vor. Unter anderen das atomare Vernichtungspotential, die Umweltzerstörung, die Zunahme der Gewaltverbrechen, das Auftreten falscher Prediger. Finley gönnt sich kaum eine Verschnaufpause, seine Zunge schlägt schneller und schneller, ruhelos schreitet er drei Schritte auf und ab, gestikuliert immer erregter - bis sich die Spannung der 65minütigen Rede entlädt. „Let us pray“, sagt er gehalten, „wir wollen beten“ folgt sein Simultanübersetzer.

Die Köpfe der 120 Besucher im Bremer Adventisten-Gemeindesaal senken sich, als wäre es ein ganz normaler Gottesdienst. Das ist es aber nicht. Mark Finley redet nicht von der Kanzel, sondern per Leinwand. Seine unmittelbare Gemeinde sitzt in Orlando, Florida, seine mittelbare in 4000 Adventisten-Zentren weltweit, hier in Bremen wie in Bogota, in Santiago wie in Sofia. „Zukunft 2000 – wie geht es weiter?“, ist die Veranstaltungsreihe betitelt, die der Tele-Evangelist an 26 Abenden bis 10. November über alle Grenzen hinweg ausstrahlen läßt. Ein Marathonkurs in Sachen Mensch, Gott und die Welt, jeweils um 19.30 Uhr; dann, wenn andere ins Kino gehen.

Finley moderiert und zitiert aus der Bibel. Er ist aber auch ein geschickter Regisseur: Jesu Leben, die Geschichte des Christentums und moderne Gesellschaftskonflikte erscheinen als Kämpfe zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und dem „Tier“, wie Satan meist umschrieben wird. In kurzen Filmszenen schleudern Pharisäer ihre Peitschen, und Erdbeben verwüsten ganze Städte. Entspannend wirken nur die Solosänger aus Orlando, die Finleys Predigt mit Folk Songs und Gospels umrahmen.

Die multimediale Evangelisation zeigt Wirkung - nicht nur in Bremen. Denn anders als die etablierten Kirchen verzeichnen die Adventisten weltweit „regen Zulauf“, sagt Helmut Langel von der evangelischen Remberti-Gemeinde in Bremen. Und: „Sie stehen beispielhaft für die zunehmende Pluralisierung der Religion in Europa - so wie sie in Nordamerika von Anfang an bestand.“ Schließlich gehört die adventistische Bewegung in den USA schon seit 200 Jahren zum religiösen Gemeingut. Der deutsche Begriff „Sekte“, der für Abspaltung steht, passe deswegen nicht auf die Adventisten, meint Langel, der zugleich den Titel Sektenbeauftragter der Stadt Bremen trägt. Im übrigen gebe es „wie in anderen Gemeinden auch bei den Adventisten Liberale und Fundamentalisten“.

Allen gemein ist indes der Glaube an die „Verbalinspiration“, die wörtliche Interpretation von Bibelversen. Wenn dem biblischen Evangelisten Johannes sieben Engel mit Posaunen erscheinen, dann „gab es Hagel und Feuer, mit Blut gemischt, und wurde zur Erde geworfen. Und ein Dritteil der Erde brannte ab“ (Offenbarung 6, Vers 7 in der Zürcher Bibelausgabe). Adventisten erblicken in solchen Passagen einen direkten Zusammenhang zum reellen Erdgeschehen und glauben an die Endzeit - die ihnen gleichzeitig eine neue Welt im Zeichen von Jesu Wiederkunft verspricht. „Wir wollen den Menschen mit unserer Veranstaltungsreihe keine Angst machen, im Gegenteil, wir wollen ihnen Hoffnung geben“, sagt Edgar Machel, der Pastor der Adventisten Bremen-Mitte.

Einige der jugendlichen Gemeindemitglieder finden Finleys televisionäres Weltuntergangsszenario dennoch zu farbengrell und sprachgewaltig. „Manchmal wirkt es wie eine Karikatur. In Deutschland hätte man das Thema anders angegangen als in Amerika“, meint Marcus (27). „Inhalt und Denkweise sind ähnlich, bloß die Form ist verschieden“, urteilt Stefan (30) über das vermeintlich Amerikanische in Finleys Darbietung. Dennoch „läuft Finley besser als unsere eigenen Evangelisationen, das Technische hat eben größeren Erfolg“, meint er.

Vielleicht ist es kein Zufall, daß die Satellitenbilder aus Orlando, dem Zentrum des christlichen Broadcasting stammen. Denn spätestens seit Billy Graham konfessionsübergreifend auf Fernsehmis-sion ging, fordern auch Adventisten, daß die „Verkündigung mit der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt halten“ müsse, wie es in einer Selbstdarstellung heißt.

„Ich weiß genau, daß meine Mutter in Essen das jetzt auch gesehen hat“, freut sich Nicola (28) nach der Übertragung. Und Kerstin (25) erinnert sich an den Kameraschwenk über Finleys Publikum in Orlando: „Wenn ich mir vorstelle, daß die jetzt überall so sitzen!?“

Dabei ist die Technik nur eine Spielerei vor dem Ende. „Ich hoffe, daß wir uns morgen wiedersehen“, verabschiedet sich Finley. Da redet er aber noch nicht von Jesu frühzeitiger Wiederkunft, sondern von seiner nächsten Predigt: „Bringen Sie auch Ihre Freunde mit.“ ahm