Grünes Maastricht

■ In Berlin tagten internationale Umweltverbände: Die Europäische Union soll in Zukunft ökologischer werden

Ob das Dach des europäischen Hauses begrünt werden soll, ist eine bislang wenig diskutierte Frage. So drängen Umweltorganisationen, allen voran der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), darauf, daß vor allem das Fundament grüner werden muß; der Maastricht-Vertrag nämlich. Soll das heißen, daß man Gras über das mühsam erarbeitete Regelwerk wachsen lassen will?

Das Gegenteil ist der Fall. So trafen sich am 4. und 5. Oktober in Berlin Expertinnen und Experten, um auf einer Tagung des BUND und der „Europäischen Bewegung Deutschland“ Nachbesserungsvorschläge zum Maastricht-Vertrag vorzustellen und zu diskutieren.

Die derzeit laufende Revision der europäischen Hausordnung soll nach Ansicht der Umweltorganisationen genutzt werden, ökologische Leitideen für das Handeln der EU festzuschreiben. Bislang sei der Vertrag „einseitig auf Wirtschaftswachstum und die Entwicklung der Handelsbeziehungen ausgelegt“, kritisiert Martina Krause, Pressesprecherin des BUND.

Als Arbeitsgrundlage des Kongresses dienten dabei 35 konkrete Änderungsvorschläge für den Vertragstext, die von sieben Umweltverbänden gemeinsam erarbeitet wurden. Der Kernpunkt der Kampagne „Greening the Treaty“ ist die Ausrichtung europäischer Politik am Gedanken der nachhaltigen – oder auch zukunftsfähigen – Entwicklung. Darunter verstehen die beteiligten Verbände im wesentlichen eine „Verbesserung der Qualität menschlichen Lebens unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Tragfähigkeit der unterstützenden Ökosysteme“. Diesem Prinzip habe sich die EU zwar nach der UN-Konferenz von Rio verpflichtet, aber nun gelte es mehr als die bisherigen Lippenbekenntnisse einzufordern.

So führe die bisherige Wirtschaftsorientierung der EU zu Fehlvergaben von Subventionsmitteln mit fatalen Folgen: Die Verwendung der 55 Milliarden Mark Strukturhilfen, die die EU 1996 vergibt, darf durch das Parlament nicht kontrolliert werden. Mit diesen Mitteln wird zum Beispiel der Bau einer sechsspurigen Autobahnbrücke bei Lissabon gefördert, die mitten durch ein europäisches Naturschutzgebiet führt – übrigens von der deutschen EU- Kommissarin Wulf-Mathies. Solche Fehlplanungen können nach Ansicht des BUND vermieden werden, wenn finanzielle Mittel erst nach vollständiger Untersuchung der Umweltbeeinträchtigungen gewährt werden.

Weiterhin, so der Begrünungsplan, müsse das Recht einzelner Mitgliedstaaten sichergestellt werden, schärfere Umweltgesetze einzuführen und aufrechtzuerhalten. Lobenswerte Vorstöße sollen so nicht – wie bisher vorgesehen – auf einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zurückgestutzt werden. Außerdem sei es notwendig, die Durchsetzbarkeit von Umweltschutzgesetzen zu verstärken; die könne geschehen, indem die Befugnisse des Europäischen Gerichtshofes ausgedehnt würden. Mitgliedstaaten, die gegen EU- Recht verstoßen haben, sollten mit finanziellen Sanktionen belegt werden. Auch sehen die Änderungsvorschläge vor, die Rechte von Einzelpersonen zu stärken, sich gegen Mißachtung des EU- Rechts zu wehren.

Neben der Verankerung von ökologischen Zielen in den Grundsatzartikeln des Maastrichter Vertrags fordern die Umweltschützer strukturelle Reformen für die bürokratischen Mühlen der Gemeinschaft. Um demokratische Defizite abzubauen, soll etwa das Parlament in Straßburg bei jeder umweltrelevanten Entscheidung mitbestimmen dürfen: Die Erfahrung lehrt, daß die Parlamentarier für die Belange des Umweltschutzes generell offener sind als die Kommission oder der Ministerrat. Der Ministerrat seinerseits soll künftig Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit treffen können. Bislang müssen diese mit Einstimmigkeit gefällt werden.

Die Umweltorganisationen, die sich an dem Begrünungsversuch beteiligen, hoffen, daß möglichst viele ihrer Vorschläge in der anstehenden Regierungskonferenz berücksichtigt werden. Dabei stützen sie sich auf vergangene Erfolgserlebnisse. Denn dies ist schon die zweite Kampagne ihrer Art: Bereits zur ersten Regierungskonferenz hatten das Europäische Umweltbüro (EEB), die Friends of the Earth (FoE) und der World Wide Fund for Nature (WWF) Änderungen vorgeschlagen, um eine Stärkung des Naturschutzes zu erreichen. Eine Reihe der damaligen Vorschläge, so heißt es im diesjährigen Dokument, „wurden zumindest dem Sinn nach in den Maastricht-Vertrag aufgenommen.“ Martin Kaluza