Wand und Boden
: Rückläufige Blicke

■ Kunst in Berlin jetzt: Goi, Schultz, Beck, Wolff

Willkommen in der Goi Land Schau: Auf der Einladung sieht man einen wandelnden Flokati mit Gummistiefeln, und auch die Arbeiten in den Souterrainräumen von Peking wirken nicht, als ob sie ein junger Mann aus Büsum allein gemacht hätte. Auf Bierdeckel geklebt, driftet das Material auseinander oder füllt eine Kammer mit zahllosen Kisten voll obskurer Instrumente. In einem anderen Raum hängen Zeichnungen, auf denen unanständige Kinderbuchszenen im Stil von C. O. Paeffgen oder Sigmar Polke zu sehen sind; vorn im Eingang gibt es Tierpräparate, wie sie Dennis Oppenheim benutzt. Fast unbemerkt steht etwas abseits ein Holzkasten, aus dem es leise pfeift. In der Mitte rotiert ein Besenstil – jemand fegt dort imaginär den Boden. Angeblich der Vater. Oder Joseph Beuys.

Das Geflecht stellt eine Retrospektive dar, die mit jeder Station weiter wächst. Goi dokumentiert mit seinen Objekten Situationen aus einem Leben zwischen Kunst und Party. Das Stückwerk stammt aus Aktionen, Performances und dem eigenen Barbetrieb in der Love- WG. Aus der New Yorker Exit- arts-Gallery hat er eine silberne „Schlafbox-Miniatur-Diskothek“ angeschleppt, in der auf zwei Quadratmetern ständig Techno-Beats grummeln. Es ist erstaunlich, wie die Club- und Fanzine-Kultur sich ins Bild von der sozialen Plastik fügt.

Bis 3.11., Sa./So. 16–20 Uhr, Kastanienallee 86

Eine ungewöhnliche Kritik am Kunstbetrieb hat sich Pit Schultz überlegt: Zum Eröffnungsabend ließ er „ein/aus“ im Künstlerhaus Bethanien absagen. An der Tür hängt ein Zettel, daß man in zwei Wochen noch einmal vorbeikommen solle. Bis dahin will sich der Phillip-Morris-Stipendiat überlegen, wie seine Internet-Arbeiten zu Sponsoring und Institutionen passen. Soweit der Mythos um Kunst und Kapital. Denn im Grunde arrangiert sich Schultz ganz clever: Fürs Bethanien war eine Ambient-Lounge geplant, mit dicken Chill-out- Kissen, indianischen Öllampen und Bildern von Feuerritualen.

Statt dessen muß man sich nun mit einer trockenen Homepage begnügen, auf der Schultz über Wahrnehmungsprobleme informiert. Unter www.icf.de/ fechner/ ist ein Text von Christopher D. Green abgelegt, der in Ontario Physiologie lehrt. Etliche Seiten lang referiert Green über das Phänomen des Goldenen Schnitts, mit dem Gustav Theodor Fechner 1876 in Experimenten eine „Grundform der Schönheit“ nachweisen wollte. Aus zehn Rechtecken kann man parallel dazu seinen Favoriten auswählen. Statistisch haben beim rekonstruierten Versuch die meisten das Format 5:4 gewählt – was nichts besagt. Selbst Fechner vermerkte zum Ergebnis seines Experiments, er wisse nicht, warum sich die Leute so entscheiden. Das alles ist nur mäßig verblüffend und als Ersatz für eine abgebrochene Ausstellung zuwenig.

Auch Silvia Beck widmet sich der Wissenschaft vom Sichtbaren. „Extender“ verhandelt Johannes Keplers Gesetze über die Planetenbewegungen. Dafür hat die Senatsstipendiatin Leuchtbilder und Projektionen in der Archenhold-Sternwarte installiert, die gerade 100. Jubiläum feiert. Doch ganz so glücklich verlief das Cross-over im Museum nicht: Ihr „Zimmer des Astronomen“ mußte abgebaut werden, weil in diesem Raum der Sternwarte kosmische Strahlung gemessen werden kann. Und die gilt der Wissenschaft mehr als jede Kunst.

Auch in reduzierter Form ergeben sich Parallelen zwischen der Erforschung von Sternen und dem Prinzip der Darstellung. Daß sich nach Kepler die Erde elliptisch um die Sonne dreht, hat Beck in einer Computeranimation festgehalten. Ein obskurer Gegenstand dreht sich in Schleifen um die eigene Achse und wechselt stets die Gestalt – vom Pfefferstreuer bis zum Fernrohr. Diese Assoziationskette verläuft stumm auf einer Großbildleinwand, die durch eine zweite Projektion ergänzt wird. Dort sieht man ein Gesicht im Negativverfahren, dessen rot hervorstechende Augen nervös kreisen. Der Blick als Rücklauf der Betrachtung: Beck führt die Zeichen sehr eng, beinahe wie eine Übersetzung der Thesen Keplers.

Bis 15.1. 97, Mi.–So. 14–16.30 Uhr, Treptower Park, Alt-Treptow 1

Als Jazz in Mode kam, wurden im Hamburger Mojo-Club alte Blue-Note-Cover an die Wände projiziert. Die Bilder waren edel, hatten aber nicht allzuviel mit dem DJ-Programm aus James Taylor, Jamiroquai oder Galliano gemein. Es ging mehr um die Aura einer Epoche: Jazz is not dead, it just looks funny, oder so ähnlich. In der Ausstellung mit Fotografien von Francis Wolff, die die visual blues & jazz galerie zeigt, möchte man nun vermitteln, daß Musik, Literatur, Malerei und Architektur „dieselben kultischen oder spielerischen Ursprünge“ haben.

Francis Wolff, der aus Berlin emigriert war, gehörte 1939 zu den Gründern des New Yorker Jazz-Labels Blue Note. Als ausgebildeter Fotograf war er für die meisten LP-Cover verantwortlich. In den verwinkelten Räumen der Galerie hängen nun an die drei Dutzend Fotos von Blue-Note-Sessions. Doch die Portraits seiner Musiker waren vom geschickten Spiel mit der grafischen Gestaltung nicht zu trennen. Manche Schwarzweißaufnahmen bekamen erst durch die orange leuchtenden Streifen eine konstruktivistische Schärfe. Die einzelnen Fotos dagegen wirken mitunter matt und etwas hermetisch. Zu sehr ist Wolff Fan, wenn er von unten zum grübelnden Gesicht eines John Coltrane oder Grant Green hochfotografiert. Selbst bei einem Schnösel wie George Benson liegt das Licht weichgezeichnet auf der Gitarre. Andererseits hat man Miles Davis selten so kokett lächeln sehen wie auf dem Foto während der Sextett-Session 1952.

Bis 3.11., Mo.–Fr. 14–19, Sa. 15–18 Uhr, Auguststraße 35 Harald Fricke