Einfach verpufft

Kohlfestspiele statt akribischer Recherche: Auf den Medientagen in München wurde über die Krise des investigativen Journalismus diskutiert  ■ Von Lutz Meier

Lange Zeit war es nicht gut bestellt um die Demokratie. In der Regierungspartei wimmelte es von Leuten, die nur durch gezielten Zufluß von Industriegeldern hochgekommen waren, und in den Gewerkschaften wimmelte es von Funktionären, die so waren, wie sie sich die Kapitalisten immer vorgestellt hatten. Von denen ganz zu schweigen, denn in der Industrie konnten nicht nur die Umweltgesetze getrost umgangen werden. Kurz – es war ein einziger Sumpf. Und daß es so war, wußten wir aus dem Spiegel. Das Hamburger Nachrichtenmagazin, einst mächtigstes Organ der vierten Gewalt, bewies mit seiner Existenz, daß es gar nicht so schlimm stehen konnte. Schließlich hatte eine ganze Reihe von Politikern wegen seiner Berichte zurücktreten müssen.

Der Mann, der viele der großen politischen Skandale im Spiegel aufdeckte, hat im Sommer wieder eine Titelgeschichte und später auch ein Buch geschrieben. Über Steffi Graf. So klang es fast wie ein Abgesang auf sich selbst, als Spiegel-Reporter Hans Leyndecker auf einer Diskussion zum Thema Enthüllungsjournalismus bekannte, daß „diese Sparte in Deutschland chronisch unterbesetzt ist.“

Steffi Graf statt Franz Josef Strauß lautet die Devise, und trotzdem hat der Spiegel den Habitus des Enthüllers beibehalten. Nur der publizistische Zweck scheint ihm entglitten.

Die Demokratie als empörungsfreie Zone

Bei der Ausforschung der Wurzeln des Autohändlers Graf oder der Briefkastenfirmen der Moderatorin Schreinemakers treffen die Spiegel-Reporter zunehmend auf die Kollegen von Bild und RTL. Wer heute den Spiegel liest, dem bietet sich die Demokratie mehr und mehr als störungs- und empörungsfreie Veranstaltung dar. Schlecht, aber still. Ein milder Herbst der Enthüllungstäter.

Die wirklich dicken Dinger werden dagegen zunehmend von der Staatsanwaltschaft aufgedeckt. Etwa die Geschäfte des Baulöwen Schneider oder der Fall des Thyssen-Chefs Vogel, mutmaßlich verantwortlich für die Umleitung von Treuhandgeldern Ost in gut gefüllte Konzernkassen West – wogegen die Grafsche Steuersache eher eine Ordnungswidrigkeit ist. Auch der Medienskandal Born wurde zuerst ein Fall für die dritte, nicht für die vierte Gewalt.

Interessanterweise scheint das Verschwinden der politischen Enthüllung in jenem Moment begonnen zu haben, als die Vokabel „investigativ“ zum Modewort verkam. Die Attitüde des toughen Enthüllers pflegen sie heute alle, doch ihre Themen verlieren an Belang. Mehr denn je überträgt sich ein Bild nach außen, nach dem Interessantes und Relevantes zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Und das hat seine Wirkung auf die politische Publizistik.

„Wir erleben Kohlfestspiele“, stellte Manfred Bissinger im Verlauf der Diskussion fest. „Die Krise ist“, so der Woche-Chef, „daß nicht mehr nachgefragt wird. Da diskutiert eine Journalistengeneration, die die großen politischen Enthüllungen der siebziger und achtziger Jahre geprägt hat und sich jetzt, müde geworden, einem Kampf auf aussichtslosem Feld gegenübersieht.“ So wie „Monitor“-Chef Klaus Bednarz, der beklagte, daß „man heute als Journalist das Gefühl hat, man fährt gegen die Wand“. Zum Beispiel bei der Plutoniumaffäre, die „Monitor“ mit Tonbandaufzeichnungen öffentlich machte: „Das verpuffte einfach, als ob wir nichts gesendet hätten.“ Zeit also für halbstarke Ersatzhandlungen: „Panorama“ brachte den Hühnerbaron Pohlmann zur Fall, „Report München“, ehemals beißfest gegen Links, kapriziert sich auf Psychosekten.

Hans-Werner Kilz, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung und vordem selbst Spiegel-Chef, glaubt an einen „strukturellen Defekt“: „Die Neigung der jungen Journalisten zu recherchieren ist nicht mehr so ausgeprägt.“ Was natürlich auch eine Frage der Produktionsbedingungen sein könnte: Denn vorauseilender Gehorsam der Magazine in Print und TV aufgrund eines vermuteten Öffentlichkeitsinteresses (das die Konkurrenzprodukte repräsentieren) findet ja nicht vornehmlich in jungen Redaktionen statt.

Michael Stiller, der als Redakteur der SZ mit akribischen Recherchen Bayerns Amigo-Affäre aufdeckte, sieht jedenfalls keine Themenkrise. So hätte im Fall des Baulöwen Schneider ein Gang in das Archiv gereicht, lange bevor der Konkurs angemeldet wurde. Nur hätten bis dahin eben alle Journalisten die lancierten Erfolgsgeschichten geglaubt, die sie dann im gegenseitigen Abschreiben perpetuierten. An das Lamento, die Informationsbeschaffung werde immer schwieriger, glaubt Stiller nicht. Sei das Faß erst angestochen, werde es sprudeln. „Ich konnte mich kaum vor Anrufen aus der CSU retten“, berichtet er von seinen Amigo-Recherchen.

Am Hofe macht sich Melancholie breit

Woche-Chef Manfred Bissinger würde gern auf noch höherer Ebene handeln: Kanzler Kohl habe „dieses Land verkommen lassen“ und werde nun in WDR, Stern und Spiegel in apolitischen Berichten als großer Mann präsentiert – in Zeiten größter Krise. „Was ist eigentlich passiert?“ fragte Bissinger in die Runde.

Vielleicht ist es nach 14 Jahren Kanzlerschaft nur die Haltung der alten Weggefährten des Woche- Chefredakteurs, die gemeinsam mit Helmut Kohl gealtert sind. Es scheint, als habe sich bei Hofe die Resignation mit einer gewissen Melancholie vermischt.