Halb Napoleon, halb Buddha

Frank Baumbauer, Schauspielhaus Hamburg – der Mann, der es ablehnte, der Nachfolger von Peter Stein bei den Salzburger Festspielen zu werden. Ein Porträt des momentan erfolgreichsten Intendanten im deutschsprachigen Raum  ■ Von Till Briegleb

Jürgen Flimm beschimpfte ihn auf der letzten Intendantentagung als „CSU-Arschloch“. Aber der offenbar neidische Kollege vom Hamburger Thalia Theater dürfte schon der einzige sein, der Frank Baumbauer derzeit Übles unterstellt. Die Kritiker feiern die Arbeit des Intendanten des Deutschen Schauspielhauses Hamburg und wählten sein Theater kürzlich zum zweitenmal innerhalb von drei Jahren mit überwältigender Mehrheit zum Theater des Jahres.

Auch das Publikum strömt trotz des außergewöhnlich hohen Anteils „schwieriger“ zeitgenössischer Stücke und „sperriger“ Inszenierungen in das größte deutsche Sprechtheater und will dort gar nichts anderes mehr sehen. Und selbst gestandene SPD-Senatoren schätzen Baumbauers Arbeit in Hamburg so hoch, daß sie ihm Bittbriefe mit der Aufforderung zu bleiben schickten, als vor wenigen Wochen durchsickerte, der werte Intendant wolle wegen persönlicher Ermüdungserscheinungen seinen Vertrag nicht verlängern.

Baumbauer, ein Bayer in Hamburg, ist so recht everybody's darling. Und das nicht aufgrund von Kompromißlertum, sondern durch besonnene, aber klare Entscheidungen. Der erste Schritt dahin war, daß er vor 20 Jahren aufhörte, selbst als Regisseur zu arbeiten, und jetzt einer der ganz wenigen Intendanten ist, die nie auf der Bühne erscheinen. „Ich habe auf der Probe immer ans Büro gedacht und im Büro an die Probe“, erinnert er sich an die Zeit Ende der Siebziger, als er unter Kurt Meisel am Münchner Residenztheater Hausregisseur und Leiter des künstlerischen Betriebsbüros war. „Beides parallel, Regie und Leitung, ist genau das, was ich nicht kann. Dazu fehlt mir die Gelassenheit.“

Frank Baumbauer ist weder ein Napoleon noch ein Buddha. Aber in ihm verbinden sich Qualitäten von beiden, und das, so erkannte der damals Dreißigjährige, befähigt ihn mehr zur Gesamt- als zur Einzelleistung. So bestimmt und geduldig wie er ist, gelingt es ihm seither immer wieder, widersprüchliche Strömungen in seinem jeweiligen Theater zu verbinden, ohne daß Beliebigkeit herrschen würde. Kein Platz für Platzhirsche, und er selbst kümmert sich bis zur besagten Erschöpfung minutiös um alles, was im Haus geschieht.

So ist der 51jährige zum mittlerweile begehrtesten Theaterleiter im deutschsprachigen Raum aufgestiegen. Das erst kürzlich abgelehnte Angebot, als Nachfolger von Peter Stein Schauspielleiter bei den Salzburger Festspielen zu werden, ist nur eine von vielen Avancen.

Trotzdem reicht seine Eitelkeit nicht weiter als bis zum seriösen Auftreten – maestrohafte Zicken, wie sie manche Regisseurintendanten an sich haben, gibt es bei ihm nicht. Baumbauers Stolz ist eine funktionierende Teamarbeit, in der ihm die Aufgabe zukommt, die künstlerische Gesamtrichtung vorzugeben und den Künstlern dann den Rücken freizuhalten.

Viele der Leute, die noch heute mit ihm arbeiten, hat er in Basel um sich gesammelt, nach München seine zweite Station als Intendant: Die Dramaturgen Wilfried Schultz und Stefanie Carp, die Ausstattungsleiterin Anna Viebrock, die Regisseure Jossi Wieler, Christoph Marthaler, Johann Kresnik, Frank Castorf und ein großer Teil des Ensembles. Doch auch aus seiner Münchner Intendanz, wo er ab 1983 als Watschenmann der CSU drei Jahre lang ein überaus profiliertes Staatsschauspiel durchkämpfte, finden sich noch Wilfried Minks, Herbert Achternbusch, Sepp Bierbichler oder Franz Xaver Kroetz in Hamburg wieder.

Trennungsängste kennt Baumbauer dennoch nicht. So wechselte er bei seinem Antritt im Schauspielhaus 1993 zwar fast das komplette vorhandene Ensemble aus, beendete aber auch die Zusammenarbeit mit eigenen langjährigen Weggefährten wie Werner Schroeter, als er merkte, daß deren Arbeit in Hamburg nicht funktioniert. Das schaffte Platz für die nachrückende Generation, für Karin Beier, Anselm Weber oder Thirza Bruncken. Theater ist das Glück des Augenblicks.

Der begeisterte Bayern-München-Fan Baumbauer, der sich selbst als „Arbeiter, nicht Rebell“ klassifiziert, hat einen für seine Generation eher antizyklischen Weg genommen. In der 68er-Zeit, als die Stein-Peymann-Neuenfels-Generation mit dem sogenannten Regietheater und Mitbestimmungsmodellen provozierte, versuchte er zunächst eher zu vermitteln. So brachte er am Residenztheater in München die Antipoden Kurt Meisel und Ingmar Bergman zusammen und plazierte in „Meisels freundliches Familientheater“ (Baumbauer) Regisseure wie Peter Zadek oder Luc Bondy. Und als Meisel 1982 widerwillig abtrat, stand das Ensemble „wie eine Eins hinter mir“ (Baumbauer) und setzte den schwächsten Kandidaten als neuen Intendanten durch. „Die schlechteste aller Lösungen“ (die Süddeutsche zu Baumbauers Berufung) begann dann zur Überraschung aller, die den Meisel- Zögling auch für einen Meisel- Adepten hielten, die Uhren umzustellen.

Herbert Achternbusch, Werner „Man sollte dem Strauß mal ein Bömbchen in seine Weißwurst stecken“ Schroeter oder der rote Kroetz tauchten plötzlich im Spielplan auf, den auch noch eine Bavaria zierte, die sich ihrer blauweißen Reizwäsche entledigte. Die Lektion in christlich-sozialer Intoleranz folgte auf dem Fuße. Strauß weigerte sich, Baumbauers Vertrag zu unterschreiben, und nachdem ein Streik im Hause die Monarchie zum Einlenken gezwungen hatte, wurde zu Beginn seiner Intendanz mit Günter Beelitz gleich ein Nachfolger präsentiert. Eine dreijährige Sintflut von Abmahnungen folgte. „Künstlerisch erwachsen geworden“ sei er in dieser Zeit, nicht zuletzt weil unter dem permanenten Gesinnungsdruck sein Team zusammenrückte und in bajuwarischem Trotz erst recht sein Bestes gab.

Danach saß Baumbauer auf dem Intendantenkarussell und überlegte sich, wo er abspringen sollte. „Mein größtes Defizit, das erkannte ich in dieser Situation, war seit meiner Kindheit, daß ich immer gleich in eine Erwachsenensituation hineingedrückt worden war. Jetzt wollte ich einfach mal mit Jugendlichkeit arbeiten“, beschreibt er seine Wahl, in ein Provinztheater zu gehen: Basel, ein „Dreispartenhaus mit Anspruch, weit weg von München“ (Baumbauer). Im demiurgischen Dauerrausch – er war verantwortlich für rund 30 Premieren pro Saison – stellte er hier zwischen 1987 und 1993 ein Programm zusammen, in dem Ruth Berghaus neben Frank Castorf inszenierte und Christoph Marthaler vom Kantinenmusiker zum vielbeachteten Regisseur aufstieg.

Als Nachfolger des gescheiterten Schöngeists Michael Bogdanov am Hamburger Schauspielhaus war Frank Baumbauer eigentlich die zweite Wahl. Aber Claus Peymann sagte ab, und mit Sätzen wie „Theater muß anstrengend sein“ betrat Baumbauer die intellektuelle Trübnis der Hamburger Theaterszene wie ein Fackelträger. Mit jungen Regisseuren, zeitgenössischen Texten und Inszenierungen wie Jossi Wielers Schauspielerinnen-Choreographie zu Elfriede Jelineks Text „Wolken. Heim“ enttäuschte er die Erwartungen nicht.

Baumbauers Geschichte ist die Erfolgsgeschichte des sprichwörtlichen Hausvaters im Theater, die Geschichte eines Ermöglichers, wie es vor Jahrzehnten Boleslaw Barlog in Berlin und Kurt Hübner in Bremen waren. Wobei diese beiden ja gelegentlich noch selbst inszenierten. Wie steht es bei Frank Baumbauer mit dem abendlichen Applaus – vermißt der ehemalige Regisseur den wirklich nicht? „Überhaupt nicht. Ich fühle mich in der Anerkennung der Leute, mit denen ich arbeite, sehr gut aufgehoben. Die Teilhabe am Ganzen ist für mich genau die richtige Art von künstlerischem Ausdruck.“ Die Gelassenheit, hier ist sie.