Bilderstürmer auf Rollschuhen

■ In der Städtischen Galerie liefen acht Filmprojektoren gegeneinander um die Wette

Am Start: Acht Super8- und Single8-Stummfilmprojektoren der Sonderklasse. Mit dabei ein „Praximat 12/100“ mit „Niedervoltklauenpoolmotor“, der japanische „Elmo SP-F“ mit „Pseudodrehstromaggregat“ und der „Flautenschieber“, ein eiförmiges russisches Modell, noch ganz aus Metall, das so aussieht, als würde sein gedrungenes Fahrwerk die Konkurrenz gnadenlos niederwalzen. An den Boxen: Jörn Zehe, Installationskünstler und Projektorenmechaniker, der den mit glimmenden Birnchen am Start wartenden Apparaten Rollschuhe untergeschnallt hat. Am Sonntag abend gegen 20.30 Uhr fiel – mit kräftigem Böllerknall – der Startschuß für den zweiten „Weltmeisterschaftslauf in der Stummfilmklasse Super 8/Single 8“ in der Städtischen Galerie im Buntentor. (Jawohl, es habe in Hamburg tatsächlich eine erste Meisterschaft gegeben, beteuert Jörn Zehe.) Die Performance mit 18 Bildern pro Sekunde lief als Finissage zur Schau „Partikelprojektionen“, zu der neun KünstlerInnen subtile Lichtspiele inszeniert hatten.

Das eine Ende des Films haben die Projektoren im „Hals“; das andere Ende ist am Ziel des Parcours an der Wand befestigt. Los geht's: Filmfressend und bilderwerfend rollen die Maschinen los, der Filmtransport schluckt den Film, der Apparat spuckt Bilder und zieht sich am Film in Richtung Ziel. Oder auch nicht. Cineasten fassen sich an den Kopf, wenn sie sehen, wie Zehe, der nie Filme machen wollte, sondern lieber mit Material, Spulen und Linsen zu tun hat, mit dem empfindlichen Filmmaterial umgeht: Fingerabdrücke, Knicks, Knoten – kein Problem für den Hamburger Zehe, der sich zur Zeit mit einem Stipendium über Wasser hält.

Großer Andrang im Wettbüro. Drei oder sieben Mark dürfen gesetzt werden, plus zwei Mark Zuschlag für den Künstler; Zehe ist wegen des hohen Verschleißes an teurem Schmalfilm spendenbedürftig. Der russische Projektor, gecoacht von den Bremer Fehrfeld-Studios, gilt als Favorit. Deswegen ist die Quote schlecht. Dem im typischen Braun-Design der 70er Jahre gehalteten Liesegang FP 5 traut dagegen kaum einer der zahlreichen Wettbegeisterten über den Weg.

Der Russe bleibt gleich nach dem Start wieder stehen – Filmriß. Mehrere Projektoren kommen sich in die Quere, kippen um; Jörn Zehe hilft ihnen wieder auf die Räder, doch wertvolle Sekunden vergehen. „Schiebung“ raunt es amüsiert aus dem Publikum, als der Favorit wie ein auf den Rücken gefallener Käfer hilflos liegenbleibt. Wilde Bildwelten werfen die Maschinen an die Zielwand, eine über die andere projiziert. Schöne Umkehrung der Verhältnisse: Alle gucken auf die bilderspuckenden Vehikel, keiner auf die Bilder. Und nach zwei Dritteln der Strecke ist der Sieger absehbar. Der blasse „Bauer TS Royal“ zieht seelenruhig seine Bahn, verliert kein bißchen an Tempo, gibt das Letzte, überquert die Ziellinie – und kippt um. Doping? Der dümmste Bauer kriegt die dicksten...? Lief der etwa mit 24 Bildern pro Sekunde?

Nach drei Minuten ist alles vorbei. Was unversehrt über die Ziellinie gekommen ist, wirft Standbilder an die Wand: lachende Kindergesichter, Mosaiken, Fehlfarben. Applaus und Buhrufe für den Sieger, die Wettquoten werden ermittelt, Auszahlung. Jörn Zehe verarztet die Projektoren, umringt von der kleinen hartnäckigen Super 8-Community mit ihren liebevollen Detailfragen zu Art und Ausstattung der Projektoren.

Jörn Zehe ist mit der – gewissermaßen sportlichen – Begeisterung, die sein Projektorenrennen ausgelöst hat, schon ganz zufrieden. Künstlerischer Tiefgang? Den wollen wir nicht herbeireden. Zehe liebt das perforierte glatte Material, die winzigen Bildkader, das Konkrete, Transparente, Sinnliche am Film: Er läßt sich beschneiden, kleben, knüllen. 18 Filmbilder sind eine Sekunde. Auf dem Positiv läßt sich mit bloßem Auge erkennen, was später auf der Leinwand erscheint. Videorecorder auf Rollen zu stellen, hätte Zehe keine Lust. Darauf, später mal für seine Arbeiten ein Honorar zu kriegen, schon.

Alexander Musik