Die Poesie des gezielten Ziegelsteinwurfs

■ Große Katzen-Klassiker-Comics voll hoffnungsloser Liebe und verschlagener Zeichentricks: George Herrimans Krazy Kat und Felix the Cat von Otto Messmer

Die Klassiker des 20. Jahrhunderts sind Markenprodukte. Dabei ist der Comic im Zeitungsgeschäft von der Veredelung halbwegs verschont geblieben. Zumindest wurde er gelesen, bevor einer Figur der Klassikerstatus verliehen wurde. Nur den Sammlermarkt hat es voll erwischt. Im Sommer mußten bei einer New Yorker Auktion für einen Ausschnitt aus einer Seite von Winsor McCays „Little Nemo“ 8.600 Dollar hingelegt werden. Comic goes classic.

George Herrimans Krazy Kat gehört zu den umjubeltesten Comics. Krazy wurde vom Lyriker E.E. Cummings und dem Maler Ad Reinhardt bewundert, angeblich hat der Zeitungstycoon Hearst immer wieder den Abdruck des Comics in seinen Zeitungen gegen Redakteure durchgesetzt (die amerikanische Ausgabe stockt seit langem, hoffentlich halten die österreichischen Herausgeber bei ihrer Wiederveröffentlichung der alten Serien durch).

Krazy Kat ist Poesie. Dies, obwohl die Handlung des Comics rasch erzählt werden kann: Die Katze Krazy liebt die Maus Ignatz, die geradezu manisch Krazy Ziegelsteine an den Kopf wirft, was der Wachtmeister Kläff, ein Hund, zu verhindern sucht, denn der liebt Krazy. Das ist absurd und eine wunderbar hoffnungslose Liebesgeschichte. Denn nur eine verleugnete Liebe kann solche infame Inbrunst entfachen, wie sie Ignatz an den Tag legt, um an Krazys Hinterkopf einen Ziegelstein zu plazieren. Daß Ignatz verheiratet und Krazys Geschlecht nicht bestimmt ist, macht die Sache nur reizvoller.

In Band 3 ist auch eine Ikone der Comicgeschichte enthalten. Alles dreht sich um eine Horizontlinie, „möglicherweise eine der großartigsten Horizontlinien, die jemals publiziert wurde“. Krazy sitzt unter der Linie und kitzelt Ignatz, der oberhalb von ihr sitzt. Ignatz zerschlägt die Linie – den Horizont – und fesselt mit ihr Krazy. Eine sehr frühe Ironisierung der eigenen Darstellungsmittel.

Überhaupt war Herriman einer der größten Innovatoren des Comics. Hintergründe wechseln von Panel zu Panel, auch ohne daß sich die Figuren bewegen. So krakelig sein Strich sich ausnimmt (Ignatz' Oberarme sind konturlose Striche), so bleiben Bäume und Wolken dennoch als Chiffren in Erinnerung. Nie war realistische Abbildung so überflüssig. Herrimans Texte sind voller Alliterationen, fast barock, mit einer James-Joyce- gleichen Fülle von Einsprengseln aus anderen Sprachen – eine harte Aufgabe für den Übersetzer. Daß Krazy Kat von 1910 bis 1944 trotz seiner Qualität in Zeitungen erschien, ist eine der großen Seltsamkeiten in der Comicgeschichte.

Felix the Cat lief von 1923 bis 1967 und von 1984 bis 1987 als Comic in den USA; in Deutschland gab es zwischen 1958 und 1981 sogar ein wöchentliches Heft. Zum ersten Mal aufgetreten ist Felix allerdings 1919 in einem Zeichentrickfilm. Wie auch bei den Disney-Studios üblich, signierte nicht der Autor Otto Messmer, sondern Pat Sullivan als Rechte-Inhaber. Der Erfolg des Zeichentricks führte zum Entstehen des Zeitungscomics, der die Filme nacherzählte. Die 121 Seiten aus den Jahren 1923 bis 1932 auszuwählen, war eine kluge Entscheidung, denn selbst eine unkritische Übersicht wie Maurice Horns „100 Years of Newspaper Comics“ sieht einen Einbruch in den vierziger Jahren.

Felix ist ein verschlagener, pfiffiger, manchmal brutaler Charakter, der immer seinen Vorteil im Auge behält, was hinreichend amoralisch ist, um lustig zu sein. Anders als bei Krazy Kat ist der Seitenaufbau einheitlich, meist drei Panels in vier Reihen. Trotzdem hat Messmer Freiheiten des frühen Comics genutzt, etwa wenn Felix seine Sprechblase als Fallschirm nutzt oder mit der Mausefalle einen Blitz fängt. Und dieser ist eben auch mit Zacken gezeichnet, die zum Fechten benutzt werden kann. Solche Verschiebungen schaffen bei Krazy Kat und Felix the Cat eine völlig entmystifizierte und darum sehr moderne Phantastik – wie viele frühe Zeichentrickfilme, als deren amüsierter Bewunderer auch Walter Benjamin im „Kunstwerk“-Aufsatz auftrat. Da beide Ausgaben mit informativen Vorworten versehen sind, kann nur ein Rat gegeben werden: Klassiker lesen. Martin Zeyn

George Herriman: „Krazy Kat“. Bd. 3 (1918), Comic Forum, Wien 1996, 19,80 DM

Otto Messmer: „Felix der Kater“. Carlsen, Hamburg 1996, 68 DM