Das Geheimnis liegt in der Schlacke

Viel Raum, viel Licht – und Zukunft für das Ruhrgebiet: Im alten Gasometer von Oberhausen wird „ich Phoenix. ein Kunstereignis“ mit E-Mail-Aktionen, Internet-Projekten und CD-Klängen inszeniert  ■ Von Christoph Danelzik-Brüggemann

Die diesjährige Ausstellung im Oberhausener Gasometer greift hoch. „ich Phoenix“ – ein Fabelwesen wendet sich an die Menschheit. Diese Art Ansprache erinnert an den Aushang neben der Berliner Gedächtniskirche, in dem jahrelang mit „ich Gott“ überschriebenen Botschaften der wahre Glaube verkündigt wurde.

Zugegebenermaßen wirkt der Innenraum des Gasometers überwältigend. Die räumliche Wirkung ist mit einer Kathedrale vergleichbar. Mit seinem leeren Raum von 117 Metern Höhe und einem Durchmesser von 68 Metern läßt er die in ihm umhergehenden Menschen schrumpfen. In der Finsternis müssen mit großem Aufwand Lichtinseln geschaffen werden. Was in gewöhnlichen Ausstellungshäusern kaum wahrgenommen wird – Räumlichkeit und Licht –, erzeugt im Gasometer bereits Spannung. Gegen diese Vorgaben läßt sich keine Präsentation einrichten. Ein mythisches Motto zu wählen, liegt also nahe.

Mythen des Montanzeitalters

Phoenix symbolisiert in Oberhausen über den gelehrten Antikeverweis hinaus die angestrebte Zukunft des Ruhrgebiets. Er steigt aus den abgekühlten Schlacken des Montanzeitalters auf. Seit einigen Jahren erhält die Region eine Geschichte und gleichermaßen zunehmenden Anschluß an Zukunftstechnologien. Für beide Tendenzen finden die KünstlerInnen von „ich Phoenix“ Bilder.

Der australische Künstler Joyce Hinterding spielt in seiner Installation „Koronatron“ mit den Naturkräften. Solarenergie entlädt sich unter dem Dach des Gasometers mit Hochspannung. Eine komplizierte Folge metaphorischer Schlüsse verbindet das Phänomen mit der Kohlegewinnung. Die Kette führt vom begrenzten Vorrat fester Energie (Kohle) über das schon historische Kohleprodukt Stadtgas – das einst den Gasometer füllte – bis zur unbegrenzten Sonnenenergie, die mit einem gelegentlichen „Bratz“ hörbar wird.

Die Entladungsgeräusche beeinflussen eine weitere Installation, die die Weite des leeren Raumes nutzt. Für Rainer Plum und Anna und Michael Saup ist der Gasometer Symbol des ungebrochenen Glaubens des Industriezeitalters an Fortschritt und technische Machbarkeit. „Sh!ft“ [sic!] macht mit Lasereinsatz die Begrenzungen des scheinbar unendlichen Raumes sichtbar. Auf einer in der Mitte aufgespannten Leinwand schwebt das Bild eines kolossalen Faustkeils als modernes Damoklesschwert.

Hermann Josef Hack hingegen lädt ins Internet ein (http:// www.hack-roof.gmd.de/). Er animiert die BesucherInnen seiner Web-Seite, an einem virtuellen Dach über dem Ruhrgebiet mitzubauen. Per E-Mail und Chat-Box kann mit anderen MitkünstlerInnen kommuniziert werden, die auch zu ihren Visionen über die Zukunft des Reviers befragt werden. Teil des Kunstwerks sind Stellungnahmen wie diese: „Eine Mischung aus Venedig, Amsterdam und Speckswinkel“/ „Überdachtes Feuchtbiotop, in dem jede Pflanze, jedes Tier und was sonst noch wuchert einen eigenen Internet-Anschluß hat.“

Eher traditioneller Mittel bedienen sich Anne und Patrick Poirier bei ihrer Eingangsinstallation unter der Bodenscheibe des Gasometers. Sie nutzen die klaustrophobische Enge und Düsternis für eine apokalyptische Spielzeugeisenbahn à la Syberberg. Inmitten eines Wasserbassins von 40 Metern Durchmesser hat das Künslerpaar eine ringförmige Wüstenei geformt, die ideale Industriebrache. Mittels archaischer Feldstecher sind Details auszumachen, Schiffswrack, entgleister Zug, vergammelnde Hochöfen – die Erde ist eben unbewohnbar wie der Mond. Raunende Musik mit chiffrehaften Sentenzen – sie liegt als CD dem Katalog bei – und gelegentlicher Theaternebel machen das Gesamtkunstwerk vollkommen.

Gegen diesen mystifizierenden Auftakt opponiert die Arbeit von Esther und Jochen Gerz. Sie setzten die Reihe ihrer öffentlichen Befragungen fort.

Humanistisch und ökologisch orientiert

So beantworteten LeserInnen eines Oberhausener Lokalblatts die Frage: „Wenn das 20. Jahrhundert noch einmal stattfände, was würden Sie ändern?“ In ihrer humanistisch-ökologischen Orientierung sind viele der Antworten mit den Statements zu Hacks virtuellem Dach vergleichbar.

Zwischen den ästhetischen Polen der Befragungen und bühnenartigen Räumen verliert sich beinahe die Folge von Fotoarbeiten im Zwischengeschoß. Marie Jo Lafontaine monumentalisiert die Porträts einiger Marler GrundschülerInnen und erhöht das alte Klischee vom „Schmelztiegel Ruhrgebiet“ zur Botschaft von der „family of man“. Thomas Ruffs Aufnahmen mit einem Restlichtverstärker sind dagegen bildgewordene Schlaflosigkeit. Mit großem Aufwand verwischt Georges Rousse die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie und pflanzt seinen Innenansichten offenstehender Bürogebäude die Bildnisse der Patriarchen Thyssen und Krupp ein. Diese wie auch die übrigen Bilder von Katharina Sieverding und Erasmus Schröter sind inszenierte Fotografie und passen gerade wegen ihrer Künstlichkeit bestens in die Industriekulisse.

Mit avancierten Mitteln versucht die Ausstellung, an einem neuen Image des Ruhrgebiets mitzufeilen. Im Gasometer werden Fragmente des Industriezeitalters geradezu dekonstruktivistisch zu Bausteinen einer buchstäblich virtuellen Zukunft gefügt. Der enorme Publikumserfolg (fast 80.000 BesucherInnen werden am Ende die Schau gesehen haben) spricht für die faszinierende Umsetzung dieser Bemühung.

Ob sie allerdings wirksam werden wird, ist offen – auch der zweite Oberhausener Besuchermagnet wird die Attraktion der Region nicht unbedingt revolutionieren. Die neueröffnete Shopping Mall CentrO gibt sich architektonisch eher bescheiden. Ihr Anspruch, das größte kontinentale Einkaufszentrum zu sein, wird nicht sichtbar. Ein paar Glaskuppeln und Palmen verbreiten ebensowenig Flair wie das antikisierende Ambiente der Fast-food- Rotunde, in der selbst den Abfallbehältern Rustikamauerwerk appliziert wurde. Da auch die Auswahl an Geschäften beschränkt ist, brauchen die Nachbarstädte nur ihre Fußgängerzonen zu überdachen, um das CentrO mühelos auszustechen.

„ich Phoenix“. Bis 3.11., Oberhausen. Katalog 39,80 DM