■ Litauen: Postkommunisten verlieren die Parlamentswahlen: Quittung für zähe Reformen
Wenn es sich die litauischen WählerInnen im zweiten Wahldurchgang nicht noch anders überlegen, werden sie ihr Land zum politischen Sonderfall machen. Sie hätten dann nicht nur als erste eine exkommunistische Partei an die Macht gebracht, sondern sie auch als erste wieder abgewählt. Das Modernitätsgefälle zwischen der litauischen Arbeiterpartei und den regierenden Linksparteien im Nachbarland Polen oder Ungarn ist krass, das Wahlergebnis eine Quittung für den zähen Reformprozeß. Die litauische Regierungsbürokratie ist bis heute von sowjetischen Politikformen geprägt und steht der nichtstaatlichen Wirtschaft mit Unverständnis gegenüber. Allein in der Sozialpolitik hat sie Verantwortung bewiesen und eine skandalöse Verelendung der RentnerInnen wie im marktwirtschaftlicher orientierten Lettland verhindert. Aber das allein reichte nicht, um an der Macht zu bleiben.
Schlechte Zeiten auch für Rußland. Denn schlagartig erhalten die baltischen Republiken nun bessere Möglichkeiten, ihre Außen-, Sicherheits- und Außenwirtschaftspolitik zu koordinieren. Die bisherige litauische Regierung hatte einen rußlandfreundlichen Kurs eingeschlagen und sich insbesondere gegen die antirussische Politik Lettlands funktionalisieren lassen. Jetzt können die drei Länder gemeinsame, „baltische“ Schritte in Richtung Nato und EU unternehmen. Aktuellstes Problem ist aber die Verkehrspolitik, insbesondere die Abwicklung des russischen Außenhandels über die eisfreien baltischen Häfen. Über die bevorzugte Behandlung von Litauen und eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche gegenüber Lettland bestimmte Rußland bislang die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Jetzt können die baltischen Regierungen den Spieß umdrehen – wenn sie dies nicht im traditionellen Gezänk untereinander verspielen.
Ein machtvolles Mittel bleibt Rußland allerdings. Litauen ist auf die Energielieferungen von Gazprom angewiesen und bei dem russischen Gasriesen hoch verschuldet. Und Gazprom gehört zum persönlichen Einflußbereich des russischen Ministerpräsidenten Tschernomyrdin. Dem kann durchaus an einer Disziplinierung Litauens gelegen sein – schließlich versucht Tschernomyrdin im Machtkampf um die künftige Führung Rußlands politisch zu überleben. Dietmar Bartz
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