■ Beim Fall des TV-Fälschers Born wird übersehen: Fälschung gehört zum Geschäft. Auch in seriösen Medien
: Zweifelt an allem!

Die Befragung des Zeugen Günther Jauch hätte sich das Koblenzer Landgericht gestern auch sparen können. Natürlich hat er nichts gewußt, und natürlich war er noch nie in einem Schneideraum. Weiß der Mann überhaupt, daß er beim Fernsehen arbeitet?

Egal. Das treffendste Statement kam vor Wochen vom ehemaligen Chef des Schweizer Fernsehmagazins „10 vor 10“, Ulrich Haldimann. Man stelle sich als Redakteur die Frage, ob ein Bericht plausibel, nicht aber, ob er gefälscht sei. Damit war er wohl der einzige, der die Wahrheit sagte – in einem Tribunal, in dem die prominenten Zeugen beim Versuch sich reinzuwaschen genauso viel lügen wie der Angeklagte. Man mag angesichts Haldimanns unverschämter Offenheit den Sittenverfall in den Medien beklagen – das ändert aber nichts daran, daß auch weiterhin unter ähnlichen Prämissen Beiträge erstellt werden. Denn ein journalistisches Reinheitsgebot wird es auch nach dem Born-Prozeß nicht geben, und deswegen ist es um so wichtiger, Zuschauer und Leser über bestimmte Mechanismen aufzuklären, von denen abzulassen niemand bereit sein wird – auch wenn das vor Gericht beschworen wird.

Längst geht es nicht mehr allein um Borns Beiträge, sondern um den Umgang mit der Wahrheit in allen Medien – nicht nur im Fernsehen, auch im Radio und in der Zeitung. Denn noch einfacher als Ku-Klux-Klan-Kapuzen zu nähen und sie falschen Statisten überzustülpen, ist das Schreiben von Falschem und das Fälschen von Zitaten. Anstatt sich an kommunikationswissenschaftlichen Uralt-Debatten abzuarbeiten, sollten die Tugendwächter in den Feuilletons lieber mal nachsehen, wie es mit der Inszenierung von Wirklichkeit im eigenen Blatt aussieht.

Ein Beispiel: Ein Reporter plant, über rechtsradikale Jugendliche in den neuen Bundesländern zu schreiben. Er treibt sich in finsteren Jugendtreffs herum und beginnt, mit den Menschen zu reden. Aber schon während der Recherche merkt er, daß die Gestalten, die er unter soviel Schwierigkeiten akquiriert hat, nicht allzuviel hergeben. Soll nun alles umsonst gewesen sein? Soll er die Gedankenarmut eins zu eins wiedergeben, gar eine leere Seite abliefern? Wo doch wahrscheinlich die gesamte Konkurrenz an ähnlich investigativen Milieu-Stücken strickt.

Kommt gar nicht in Frage. Der Reporter wird zu Hause seine Notizblöcke sichten, eine Flasche Rotwein öffen, sich an den Laptop setzen und das Erlebte auf's Anschaulichste mit den Klischees vermischen – wie es der Chefredakteur und viele Leser erwarten. Aus den drei farblosen Skinheads klont er sich einen Schillernden zusammen – wo die Zitate holpern, hilft er ihnen mit seiner eigenen Rhetorik auf die Sprünge. Eine schöne Reportage kommt dabei heraus – nicht unbedingt ein Abbild der Realität, aber in etwa, was die anspruchsvollen Leser erwarten. Unser Reporter arbeitet ja schließlich nicht für das Privatfernsehen, sondern für die Seite drei einer angesehenen Tageszeitung.

Nicht alle arbeiten so, aber sehr viele. Nicht umsonst heißen die Artikel im Redaktionsdeutsch Geschichten: „Mach die Geschichte schön bunt“, lautet nicht selten die Regieanweisung. Nicht nur im Privatfernsehen wird die Wahrheit dekliniert. Nicht von ungefähr ist die größte Trophäe der schreibenden Zunft nach einem Mann benannt, der sich seine erste Reportage fast komplett zusammenphantasierte: Egon Erwin Kisch.

Vor den sogenannten Edelfedern wird es noch weniger Schutz als vor Born geben. Es sei denn, man engagierte eine Art Medien- Polizei, die alle publizierten Reportagen noch einmal nachrecherchiert. Doch wer wollte ernsthaft die spannenden Lesestücke (durch die sich Zeitungen nicht zuletzt voneinander unterscheiden) durch eine „neue Sachlichkeit“ ersetzen, wie es die Zeit unlängst forderte. Deshalb sollte man es auch nicht verurteilen, daß sich viele Autoren eher als Schriftsteller denn Journalisten sehen – nur wissen sollte man es.

Der Medienkritiker Burkhard Müller-Ulrich zitiert in seinem Buch „Medienmärchen“ eine Untersuchung, derzufolge in den Medien gegenwärtig wesentlich mehr gelogen wird als vor zehn Jahren. Dieser Umstand ist nicht nur der Mutwilligkeit einiger Journalisten geschuldet, sondern auch den äußeren Umständen. Im Spannungsfeld zwischen Deadline und Aktualität bleibt oft zuwenig Zeit, um den Wust der Agenturmeldungen zu überprüfen. Im ständigen Versuch, die Informationsflut zu kanalisieren, werden Halbwahrheiten die Schleusen geöffnet.

Den einzigen Schutz, den es für Zuschauer und Leser geben kann, ist daher der Zweifel. Und zwar an allen Medien. Es reicht nicht, abgeklärt über RTLs Explosiv zu schmunzeln und morgens zu glauben, in der FAZ die reine Wahrheit zu finden. Oder in der Süddeutschen, der Neuen Züricher und natürlich in der taz. Es wird nicht Zeit für einen ehrlichen, sondern für einen aufrichtigen Journalismus. Das Spiegelkabinett der Medien ist größer als Borns Bastelkeller.

So ist es mittlerweile schlichtweg falsch, zu behaupten, alles was die Leute mit eigenen Augen im Fernsehen sehen, würden sie auch glauben. Viel zu breit wurde nach den ersten Sündenfällen der Privatsender die Diskussion über die Glaubwürdigkeit der audiovisuellen Medien geführt. Seitdem werden Infotainment-Sendungen wie Stern TV von den meisten Zuschauern eh unter Unterhaltung und nicht unter Information abgehakt. Der Fall Born ist nur der Höhepunkt einer kontinuierlichen und sinnvollen Entzauberung, die sich flugs auf andere Medien ausweiten sollte.

Denn zum Schönschreiber gesellt sich hierzulande noch gern der Gesinnungstäter, der nicht unbedingt der Wahrheit, sondern der guten Sache verpflichtet ist. Wie im Fall der Berichterstattung über die Shell-Plattform Brent Spar, als sich die Journalisten gleich grüppchenweise zu den Greenpeace- Kämpfern ins Schlauchboot setzten und anschließend deren PR- Kampagne nahezu unredigiert zum Drucken weiterreichten.

Es geht nicht darum, ob man medial vermittelte Inhalte glaubt, sondern darum, sie richtig einzuordnen und den Kontext, in dem sie entstanden sind, zu verstehen. Das ist der einzige Filter gegen Fehlinformationen, den es geben kann. Es ist an der Zeit, der Ehrlichkeit wegen Vertrauen zu enttäuschen, um neues aufzubauen. Aber diesmal das aufgeklärter Rezipienten. Und deswegen ist es wichtig, daß sich die Diskussion um den TV-Fälscher endlich auf andere mediale Bereiche als das Fernsehen erstreckt. Oliver Gehrs