■ Vorschlag
: Georg Seeßlen stellt die erweiterte Fassung seines Buches „Kino der Angst“ vor und zeigt einen Film

Die Zeit, in der Filmzeitschriften nicht nur vom unbeugsamen Kreis der „epd-Film“ und „Splatting Image“-AbonnentInnen gelesen wurden, in der Filmkritiker und Regisseure ein gemeinsames, antikapitalistisches Projekt verfolgten, ist längst vorbei. Die Krise des deutschen Films ist längst Allgemeinplatz; der Kritik, die in Deutschland nur eine kurze Zeit der Blüte erlebte, geht's nicht besser. Das liegt nicht bloß daran, daß heutzutage nur noch Dummköpfe über Filme schreiben würden, sondern hat wohl auch damit zu tun, daß die „Utopie Film“ (Alexander Kluge) in Zeiten der Rezession und nach hundert Jahren CDU längst ausgedient hat und daß verbindliche Kriterien zur Beurteilung von Filmen so fragwürdig geworden sind wie althergebrachte politische Feindbilder.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit dieser Krise umzugehen: Manche schreiben und filmen weiter so, als hätte sich die Gesellschaft in den letzten 20 Jahren nicht verändert, andere kämpfen gegen böse Bilder, wieder andere haben das Feld ihres Interesses erweitert und schreiben, wie Georg Seeßlen, längst nicht mehr nur über den guten Film, sondern auch an „trivialen“ Mediendingen entlang. Spätestens seit seinen Klassikern „Kino der Angst“ und „Der pornographische Film“ gilt der 46jährige als einer der avanciertesten deutschen Medientheoretiker. Er ist einer der wenigen, die dem „Trivialen“ nicht weniger Aufmerksamkeit schenken als der „Kunst“, der eigentlich längst verbrauchte Begriffe wie „Postmoderne“ wieder produktiv macht, ohne in universitäres Gewäsch zu geraten, der sich mit akribischer Genauigkeit dem Close reading von Filmen widmet.

Bewundernswert ist seine mal psychoanalytische, mal alltagsmythologische, stets unendliche Analyse der Filme von David Lynch. (“David Lynch und seine Filme“, Schüren Verlag) Das arrogante Augenzwinkern des Kulturbeflissenen, der sich auch mal zum Banalen herabneigt, ist dem bärtigen Jonathan-Richman-Fan fremd. Sein Output – da ein prima Artikel, dort ein klasse Buch, hier ein Vortrag – ist beneidenswert.

Hinter Daniel Paul Schrebers „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ steht Seeßlen also im Bücherregal und ist sehr zu loben. Heut abend stellt er die erweiterte Fassung seines „Kino der Angst – Grundlage des populären Films“ (ebenfalls Schüren Verlag) vor. Es wird um den Ursprung des Kinos aus dem Geiste des Jahrmarktes gehen, um masochistische Wege zur Lust, die über die Angst führen, um Angstlust als Folge der Sehnsucht nach dem Neuen und um „die Hoffnung aus der Angst, als neuer Mensch entlassen zu werden“. Interessante Dinge, verdrängte Wünsche. „Der Thrill und seine Verarbeitung im Genre des Thrillers wird daher um so bedeutender sein, je mehr eine Gesellschaft mit ihren Konventionen auf eine Festschreibung erotischer Beziehungen in sanktionierten Bahnen drängt und je härter sie Abweichungen davon unter Strafe stellt.“ Wenn dem so ist, sind demnächst Superfilme zu erwarten. Detlef Kuhlbrodt

Buchpremiere und Filmvorführung (“The Perils of Pauline“ von D. Mackenzie, 1913/14) heute, 21.30 Uhr, Arsenal, Welser Straße 25