Superlustig! Optimalst! Am Genialsten! Von Christiane Grefe

„Helmut Kohl ist jetzt, man scheut den Superlativ, der angesehenste noch amtierende Staatsmann der uns bekannten Welt.“ Rudolf Augstein im Spiegel

Alle reden über Kohl, aus gegebenem Anlaß: In ein paar Tagen wird der Bundeskanzler Adenauers Amtszeit übertroffen haben. Und er regiert ja sogar nicht nur am längsten, sondern steht überhaupt als wandelnde Klimax da: Kohl ist der rein physisch größte, er besitzt das zäheste Aussitzerfleisch, gilt selbst in der taz als der beste Europapolitiker, verweigert sich andererseits am hartnäckigsten jeder zukunftsträchtigen Strukturveränderung in Sachen Arbeit oder Ökologie. Zudem hat seine Regierung Deutschlands höchste Verschuldung und das größte Haushaltsdefizit produziert.

Wie gesagt: Alle reden von Kohl – wir aber reden über den Superlativ. Denn gerade in diesen Tagen, in denen er ausnahmsweise mal angemessen erscheint, entlarvt sich seine sonst so dröhnend unempfindliche Allgegenwart. Und drückt nicht die der Werbung entlehnte und vom Spiegel bis Bild der Frau ständig strapazierte Steigerungsform, respektive ihre sonstigen Starksprechvarianten sprachlich und normsetzend aus, wofür Kohl sonst noch steht: Konsum ist alles; Ich-ich-ich; hierzu zählt nur der Größte?

Ziemlich blaß und unerheblich fühlt man sich jedenfalls, seit um einen herum alle nur noch „super“ drauf sind und pausenlos „superlustig“ – man selbst aber vielleicht nur dann und wann. Seit unterhalb von „Wahnsinn“ und „absolut wunderbarst“ eigentlich kein Erlebnis mehr zählt und nicht mal mehr optimal zu sein ausreicht, sondern nur noch „optimalst“. Das ist, wie alle Beispiele, die folgen, ein Pressezitat. Unklar ist angesichts seiner medialen Inflation auch, woran man wohl ein „Genie“ noch erkennen kann – dieses heißt, da laut der Bausparkasse schon die eigene Wohung mit 20 „genial!“ ist, prompt „genialst“. So wird jedes differenziertere Urteil auf der langen Strecke zwischen „granatengeil“ und gleich „grottenschlecht“ bereits mit Erstaunen belobigt, als „sensibelst“. Und „ein Hoch der Höchstfrequenz!“ ruft der Techno-Dichter dazu.

Es ist richtig, auch in den Siebzigern mußte alles schon „spitze“ sein oder „total“. Wir merkten gar nicht, daß sich die leidenschaftlich abgelehnte Konkurrenzgesellschaft hintenrum längst wieder in unsere Köpfe geschlichen hatte. Aber wer konnte denn auch ahnen, daß das natürliche Bedürfnis der Jugend nach Radau bald die ganze Gesellschaft erfassen würde? Jugendkult plus Erlebnis – und Konsumkonkurrenz ist gleich Zwang zum Dauerorgasmus – das ist die Gleichung aus den 80er Jahren. Und seitdem nennen sich Zeitungen „täglich alles“; Fahrradkuriere feiern nicht einfach ein Fest, sondern „das exzentrischste Ereignis seit der Geburt von Klaus Kinski“. In ein und derselben Zeitschrift hat erst Tom Cruise, ein paar Seiten weiter aber auch Marlon Brando „den beeindruckendsten Bizeps der Filmgeschichte“, und Jürgen Schrempp, der „Maximo Leader“ bei Daimler, ist laut Selbstbeschreibung „höchst international“ und „extremst“.

Zugegeben, mein Gemecker über die sprachliche „Verkaufe“ klingt ein bißchen humorlos. Aber daß Sprache auch Politik ist, trifft wohl nicht erst auf Wortungetüme wie „Entsorgungspark“ oder „Freisetzung“ zu. Das weiß man spätestens seit dem Streit um die Geschlechterdominanz: Darf der Döner Döner oder muß er DönerInnen heißen? So entspricht der Superlativ, in Ermangelung genauerer Wörter schnell bei der Hand, auch einer Gesellschaft, in der immer seltener nach- oder durch-, dafür immer öfter nur noch „angedacht“ wird. Ich nutze daher die Gelegenheit, jeden nicht wirklich begründbaren Superlativ ab sofort zu verbieten, aus Liebe zum Normalen und zum – nicht nur kleinen – Unterschied. Die Frauenzeitschrift Amica findet das sicher „revolutionärst“.

1. Sowieso untersagt sind falsche Superlative wie „der einzigste“ oder „in keinster Weise“; ebenso absurd-verkrampfte wie „der klassischste aller Business- Anzüge“

2. Ebenso verboten: Der Superlativ in der Literaturkritik. Joseph Brodsky sei „der größte Dichter unserer Zeit“, schrieb Frank Schirrmacher in der FAZ; warum dürfen es nicht wenigstens zwei sein? Ebenfalls gestrichen werden alle „wichtigsten literarischen Stimmen unserer Zeit“, sowie alle „kurzweiligsten Bücher der letzten Jahre“.

3. Superlativklischees in Wirtschafts-, Politik- und Kulturdebatten werden mit Thomas Mann nicht unter fünf Bänden geahndet. Darunter besonders: „der kritischste Kopf“, die „wichtigste Stimme“, „der Klügste seiner Zunft“. Gäbe es so viele Kritischste und Klügste, wie täglich behauptet, dann müßte dieses Land sich keine Sorgen mehr machen. Doch auch Christus hatte bekanntlich nicht die 30 Gebisse und Beine, die die Montage seiner weltweit ausgestellten Reliquien ergäbe. In Sport und Kultur sind verboten: „Spiel des Jahres“, „Gigantenduell“, „Superschlager“, „Megahit“, „Kultsendung“ sowie „Existenzkampf pur“.

4. Der katastrophische Superlativ wird allen Ratgebern „(erschreckendste Erkenntnisse über Kinderschutzhelme“), in der Ökologieberichterstattung („weltweit größte Umweltgefahr“), aber auch im privaten Bereich untersagt. Die Behauptung, es herrsche zu Hause „das totale Chaos“, ist nachweispflichtig.

5. Vorsicht mit den Worten „Liebe“ und „Haß“. Nicht erlaubt ist, „Ich liiiiiiebe Lions-Schokoriegel“. „Ich liebe Andreas“ hingegen schon. Vaterlandsliebe bedarf der Erklärung.

6. Verboten ist auch der Normierungssuperlativ, etwa: „Morgens ist die beste Zeit für Sex.“

7. Auch Vergleiche sind oft nur verdeckte Superlative. Verboten werden: „die neue Brigitte Bardot“, der „neue Orson Welles“, „die neue nouvelle vague“, sowie die Etikettierung jedes stinknormalen Rave als „neue Jugendbewegung“ meist durch ergrauende Altbewegte. Denn wenn das einzig Neue nur das neue Alte ist, was ist dann das Eigene? Jetzt muß ich doch Karl Krauss zitieren: „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken“.

8. Kein Pardon auch für superlative Pseudo-Ironien, etwa dem kolportierten Satz von Madonna: „Meine Weisheit ist endgültig“, oder wenn die Hamburger Szene den Chef der Morgenpost mit „kann alles“ charakterisiert. Ausgenommen bei dieser Regel wird nur der Werbetext: „Deutschlands meiste Kreditkarte“.

Der Bundeskanzler ist im übrigen nicht nur ein wandelnder Superlativ, er hat auch den absolut extrem schönsten des vergangenen Jahres geprägt, bei der Bundestagsdebatte über die Verhüllung des Berliner Reichstages durch das Ehepaar Christo/Jeanne Claude. Bekanntlich war Helmut Kohl entschieden gegen diese angebliche Symbolschändung, wenn auch weniger aufgeregt als Wolfgang Schäuble. Eher gelangweilt hörte Kohl also den Rednern zu. Auftritt Freimut Duve, der voll glühendem Enthusiasmus pro Weltoffenheit sprach, pro Kunst, pro Christo. Worauf es Helmut Kohl spontan entfuhr, mit aller Entschlußkraft, Schlichtheit und unerschütterlicher Eindeutigkeit: „Der ist der Beste.“