Schmutzige Geschäfte mit dem Geld von Holocaust-Opfern

■ Polen entschädigte ab 1949 von Kommunisten enteignete Schweizer. Mit dem Geld von ermordeten polnischen Juden

Warschau (taz) – Die Schweiz war während des Zweiten Weltkriegs nicht nur Finanzdrehscheibe des Drittes Reiches. Nach dem Krieg schloß sie einen Geheimvertrag mit Polen, der Schweizer Bürgern, die in Polen von der kommunistischen Regierung enteignet worden waren, eine Entschädigung aus dem Vermögen der ermordeten polnischen Juden zusicherte. Dies geht aus einem Dokument, hervor, das die in Lausanne erscheinende Zeitung Le Nouveau Quotidien am Montag veröffentlichte.

Sowohl die Schweiz als auch Polen hatten die Existenz eines solchen geheimen Zusatzprotokolls zum Vertrag vom 25. Juni 1949 bislang dementiert. Die Vorwürfe aufgebracht hatte der New Yorker Senator Alfonse d'Amato bereits in der vergangenen Woche. Er ist Vorsitzender der Banken-Kommission des US-Senats und forscht im Interesse der Nachkommen von Holocaust-Opfern nach den Vermögen, die Juden vor und während des Kriegs auf Banken deponiert hatten.

Der Vertrag, den die Schweiz und Polen vor 47 Jahren schlossen, sah eine Entschädigung Schweizer Bürger vor, deren Eigentum in Polen verstaatlicht worden war. Die veranschlagte Summe: 53,5 Millionen Schweizer Franken. Diese Entschädigung, so erklärte Leon Kurowski, der damalige Delegationsleiter auf polnischer Seite, gegenüber der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, sei aber nicht in Geld, sondern in Kohle ausgezahlt worden: „Die Züge haben sich in Schlesien sofort in Bewegung gesetzt. Die Schweizer freuten sich, gab es doch damals in Europa kaum Kohle.“ An ein geheimes Zusatzprotokoll, das seine Unterschrift trage, könne er sich nicht erinnern. Auch der damalige Schweizer Delegationsleiter, der heute hochbetagte Max Troendle, dementiert die Existenz eines Geheimvertrages.

Vor wenigen Tagen aber hatte das Schweizer Außenministerium bereits den vertraulichen Briefwechsel der damaligen Verhandlungspartner veröffentlicht. Darin hatte Kurowski noch am 25. Juni 1949 seinem Partner Troendle vorgeschlagen, daß Schweizer Banken und Versicherungen Vermögenswerte polnischer Staatsbürger, sollten sich diese nicht bis Ende 1954 melden und ihre Ansprüche geltend machen, auf das Konto der Polnischen Nationalbank überweisen sollten.

Polen seinerseits verpflichtete sich im Gegenzug, die Ansprüche eventueller Überlebender oder deren Erben zu befriedigen. Troendle, so geht aus dem Briefwechsel hervor, ging noch am selben Tag auf den Vorschlag Kurowskis ein. Der vertrauliche Briefwechsel wurde als „Anlage“ dem offiziellen Entschädigungsvertrag beigeheftet, aber nicht veröffentlicht. Inoffiziell erfuhr die Gazeta Wyborcza am Montag, daß zehn Jahre nach Vertragsabschluß rund 17.500 Schweizer Franken aus aufgelösten polnischen Konten sowie 700 Franken aus Lebensversicherungen polnischer Staatsbürger auf dem Konto der Polnischen Nationalbank in der Schweiz eingegangen seien. Unbekannt sei allerdings bis heute, was aus dem Geld geworden sei. Darüber hinaus sei die Summe erstaunlich niedrig. Noch 1949 hätten die Schweizer rund 2 Millionen Schweizer Franken auf polnischen „ruhenden“ Konten vermutet.

Dem nun in Lausanne veröffentlichten Zusatzprotokoll zufolge sollen tatsächlich mit dem Geld der ermordeten polnischen Juden die Schweizer Ansprüche aus der Enteignung in Polen abgegolten worden sein. Von Kohle ist in dem Protokoll keine Rede. Cesariusz Skuza, Militärhistoriker in Thorn (Torun) und Autor eines Buches über die Rückgewinnung des polnischen Staatsschatzes nach dem Zweiten Weltkrieg, bestätigte diese bereits von D'Amato erhobene Anschuldigung.

Er selbst habe bereits in den achtziger Jahren diese Papiere in der Hand gehabt. Gestern bestätigte auch das Schweizer Außenministerium die Existenz des geheimen Zusatzprotokolls. „Daran ist nicht mehr zu zweifeln, sagte Hans Ruedi Bortis, Sprecher des Außenministeriums in Bern. Die Klärung der Tatsachen erfordere leider Zeit. „Es ist eine heikle Angelegenheit, weil wir im Verzug sind“, so Bortis.

Der Schweizer Israelische Gemeindebund (SIG) reagierte geschockt auf die Enthüllungen. Der veröffentlichte Briefwechsel zum schweizerisch-polnischen Entschädigungsvertrag sei eine absolute Katastrophe sagte der Sprecher Thomas Lyssy. Er forderte schnelle Aufklärung. Das gesamte Material müsse jetzt veröffentlicht werden. Es gehe nicht darum, den Verantwortlichen des Außenministeriums Vorwürfe zu machen, sondern darum, Klarheit zu schaffen, was nach dem Krieg von offizieller Seite getan worden ist. Gabriele Lesser