■ Mit Verfassungsschutz und Verboten gegen die Scientology Church vorzugehen, bringt nichts. Im Gegenteil
: Gegen Dummheit hilft kein Gesetz

Im Sommerloch fanden die Ermittler der „vierten Gewalt“ heuer neben bakteriellem Leben vom Mars eine weitere Spur geheimnisvoller Existenz aus dem Universum: Scientology. Ein Psychokonzern in undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen, geleitet von offensichtlich moralisch defizitären Elementen, deren Geschäftserfolg in hemmungsloser Immobilienspekulation und der Rekrutierung von psychisch angeschlagenen Existenzen besteht.

Geschäftszweck: Der Handel mit einer sozialdarwinistischen Eliteideologie, die die Heilung jeglicher Selbstzweifel, aller Sinnkrisen und des angeschlagenen Selbstbewußtseins durch den Glauben verspricht, zu einer Gattung von Übermenschen zu gehören, die fern jeglicher weltlichen Moral und der Gesetze der bürgerlichen Gesellschaft stehen. All dies natürlich mit universellem Anspruch und dem Wissen, im alleinigen Besitze aller Wahrheit und Erkenntnis zu sein – so weit, so dumm.

Die Quelle dieser Erleuchtung war Lafayette Ronald Hubbard, der sich mit dem Verfassen von Science-fiction über Wasser hielt, bis er alle möglichen Versatzstücke von Küchenphilosophie und Psychoquatsch zu einer trivialen Methode der geistigen Verknotung entwickelte, die sich in Schriften und Seminaren verkaufen ließ. Da der Verkauf der Manipulationsware möglichst hohe Gewinne bringen soll, suchen Scientologen ihre Opfer weder in der New Yorker South Bronx noch in Duisburg- Rheinhausen: Die Akquisition der Zielpersonen findet auf den Schicki-Micki-Meilen von Hamburg, München, Düsseldorf und Frankfurt statt. Wo die Dichte von ehrgeizigen, geld- und konsumfixierten, aber von Selbstzweifeln Gequälten groß ist, treiben die Straßenwerber des „möchten Sie sich einem kostenlosen Persönlichkeitstest unterziehen?“ ihr Unwesen. Auch im Schwäbischen, wo manchmal Fleiß mit Raffgier gepaart die Grenzen pietistischer oder calvinistischer Zähmungen gesprengt haben, finden dubiose Seminaranbieter das eine oder andere Opfer bei kleinen Unternehmen, übernehmen bis zu seiner Pleite einen mittleren Betrieb oder bringen attraktive Immobilien mit illegalen Methoden an sich.

Mit ähnlichen Mitteln ist noch jede Psychodroge unter die Anfälligen gebracht worden. Bhagwhan, Moon, Sri Rhajnesh Yogi, Transzendentale Meditation, Opus Dei, Satanisten und jede Menge scheinpsychologische Heilslehren und Ersatzreligionen haben in den letzten Jahrzehnten Studienabbrecher aufgefangen, Jugendliche ihren Eltern entzogen und Erwachsene um ihr Erbe gebracht. Die Anzeigenseite der alternativen Stadtmagazine sind voll von denen, die bürgerlich gewordenen 68ern die seelische Leere nach dem Kirchenaustritt vertreiben wollen. Prominente von Rudolf Bahro bis zur Tränenkönigin Schreinemakers wurden Kostgänger eines boomenden Psychomarkts. Einflußlos sind diese Gruppen nicht geblieben. Weil manche sich für ein Taschengeld im Ashram oder in der Disco ausbeuten ließen, können heute in Köln die Geschäftstüchtigsten der ehemaligen Malaträger den Besitz ganzer luxusrenovierter Altbauzeilen genießen.

Wie aber soll der liberale Rechtsstaat verhindern können, daß jemand auf triviale, verblödende Scharlatane hereinfällt? In einer privatwirtschaftlichen Rechtsordnung, deren Ökonomie auf Vertragsfreiheit pocht und einer Gesellschaftsordnung, die den mündigen Menschen verlangt, läßt sich dergleichen nicht einfach verbieten. Gewiß, wo „Scientologen“ gegen Steuerrecht, Sozial- und Arbeitsrecht, Datenschutz-, Wettbewerbs- oder Strafgesetze verstoßen, muß konsequent vorgegangen werden. Vom unlauteren Wettbewerb bis zum Steuerrecht ist alles vorhanden, was strafrechtlich anzuwenden ist. Die Polizei hat längst Möglichkeiten, im Vorfeld des Vorfeldes eines konkreten Tatverdachts tätig zu werden – Ergebnis von 14 Jahren „Sicherheits“gesetzgebung. Sie soll es auch tun, sei es mit Sonderkommissionen oder Ermittlungsgruppen.

Warum aber noch der Ruf nach dem Verfassungsschutz? Legal wäre eine Überwachung mit geheimdienstlichen Mitteln nicht. Weil der Verfassungsschutz nur solche „Bestrebungen“ beobachten dürfe, die vorwiegend auf politische Betätigung gerichtet sind, kann S. C. nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, will man nicht durch die Hintertür seinen Aufgabenbereich erweitern. Deshalb „prüfen“ die Innenminister auch nur, ob der Verfassungsschutz zuständig ist. Und eiern auch um ein Vereinsverbot herum, weil – so ein Gutachten im Auftrag des Bundestages – nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ob S. C. sich nicht gar in den Schutz des Grundgesetzes und die Anerkennung als Weltanschauungsgemeinschaft erstreiten könnte.

So ist der Staat auf dem bestem Wege, sich lächerlich zu machen. Wer es klasse findet, für Psychoterror und einen Hungerlohn 80 Stunden wöchentlich zu schuften, weil er meint, damit einer der Übermenschen werden zu können, die ein böser Fürst namens Xenn vor 35 Milliarden Jahren von einem fernen Planeten auf die Erde bombte – so das Weltbild der Scientologen – der braucht wahrscheinlich Hilfe. Wer aber meint im demokratischen Gemeinwesen könne es ein Gesetz geben, das vor solcher Dummheit schützt, dem ist wohl nicht zu helfen.

Zudem sind zweifelhafte Maßnahmen genau das, worauf die Winkeladvokaten des Psycho- Konzerns flehentlich hoffen. Eine Niederlage vor Gericht kann sich kein Innenminister leisten, denn sie wäre gleichbedeutend mit der Anerkennung der Psycho-Scharlatane. Die prozessieren, wo sie können, sehnen geradezu „Verfolgung“ herbei und kultivieren ihre Opferrolle. In USA hatten sie damit Erfolg. Warum ihnen also hier in die Falle gehen?

Der fürsorgende obrigkeitliche „Vater Staat“ kann dem individuellen Glück nicht nachhelfen; zu Freiheit und Emanzipation gehört auch das Recht auf Irrtum bis zur Dummheit. Nur wer die Entscheidung für die Werte der Aufklärung selbst trifft, ist immun gegen Verdummung. Das kann der Staat niemandem abnehmen.

Nichts hält Landes- und Bundesregierungen davon ab, eine Aufklärungskampagne zu starten, wie sie gegen Aids oder für die Volkszählung selbstverständlich war. Der Staat darf nicht alles. Er hat die Grundrechte und die Sicherheit der Menschen im Rahmen der Gesetze zu schützen. Scientology ist eine Herausforderung – nicht an den Staat, sondern an die Intelligenz. Und die braucht keine Gedankenpolizei. Roland Appel