Gründlich prüfen und langfristig hoffen

■ Kiels Grüne wollen AKW Krümmel irgendwie stillegen, die Anwohner sofort

inen Fahrplan zur Stillegung des Atomkraftwerks Krümmel wollte die grüne Fraktion im Kieler Landtag gestern vorlegen. Präsentiert haben der Parlamentarische Geschäftsführer Karl-Martin Hentschel und der energiepolitische Fraktionssprecher Detlef Matthiessen lediglich ein Sammelsurium in elf Punkten. Das ernüchternde Fazit: Eine baldige Stillegung des wegen der Leukämie-Erkrankungen umstrittenen Reaktors sehen sie nicht.

Statt dessen schlagen die Grünen nun weitere Gutachten sowie „die gründliche Vorbereitung anstehender Prüfungen“ vor. „Es wird eine langfristig ausgerichtete juristische Strategie erarbeitet“, sagte Matthiessen. Mit den bereits gegen schleswig-holsteinische AKWs Klagenden wie Renate Backhaus (Krümmel) und Karsten Hinrichsen (Brokdorf) soll ebenfalls eine Prozeßstrategie erarbeitet werden.

Weiter geplant sind die Zusammenarbeit mit atomkritischen Experten, eine bessere Abstimmung mit der Leukämie-Kommission und ein Konzept für Öffentlichkeitsarbeit. Denn durch öffentlichen Druck wollen die Grünen eine „günstige Atmosphäre für Gerichtsentscheidungen“ schaffen. Das Atomgesetz sei nun mal leider ein Ermöglichungsgesetz, kein Verhinderungsgesetz, „sonst hätten wir es viel leichter“, meinte Matthiessen.

Wichtig ist den Grünen auch die eigene Klientel. Unter Listen-Punkt elf ist aufgeführt, daß „sichergestellt werden muß, daß die Gegner der Atomindustrie sich nicht gegenseitig in der Auseinandersetzung aufreiben“. Als großes Spannungsfeld bezeichnete Matthiessen die Auseinandersetzungen zwischen Bürgerinitiativen und seiner Partei. Sein Fazit: „Politik muß divergierende Positionen optimieren.“ Einen Zeitraum bis zur Stillegung nannten die beiden nicht. Kersten Kampe

wirkt hier alles so idyllisch, „doch der Schein trügt“, sagt Jutta Rocker und zeigt auf ihren Sohn Vincent. Von dem vormals dichten blonden Haar des Dreijährigen ist lediglich ein trauriger Rest geblieben – das, was die Chemotherapie davon übrig ließ. Vincent ist eins von zehn Kindern in der Elbmarsch, die an Leukämie erkrankt sind.

„Wir waren geschockt, als wir im Juni davon erfuhren“, erzählt die junge Mutter. Die Familie Rocker lebt nur 1200 Meter Luftlinie vom Atommeiler Krümmel entfernt. Für sie steht fest: Krümmel ist schuld an den Leukämieerkrankungen, von denen mittlerweile auch zehn Erwachsene betroffen sind. „Die Politiker spielen hier mit unserem Leben“, sagt die 30jährige empört. Resigniert meint sie dann: „Wegziehen können wir nicht. Dazu fehlt uns das Geld.“

Vincent ist nicht der letzte Leukämiefall: Mitte Oktober erst ist ein weiteres Kind an Blutkrebs erkrankt. „Wir haben hier die weltweit größte Leukämie-Häufigkeit“, erklärt der Arzt Eberhard Forkel, einer von 20 Aktiven der Bürgerinitiative. Es müsse daher endlich überprüft werden, ob Krümmel die Ursache sei. „Das wird aber immer wieder herausgezögert. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß das mit System geschieht.“

Wie zu vielen Ärzten in der Elbmarsch kommen auch zu Forkel regelmäßig Eltern, die wegen der Laukämie-Häufung besorgt sind. „Die Unsicherheit ist immens“, berichtet der Mediziner. „Viele können nicht verstehen, daß die HEW angesichts der Neuerkrankungen den Reaktor weiter betreiben wollen und nicht die Ursachenklärung abwarten.“

Geesthachts Bürgermeister Peter Walter glaubt nicht, daß Krümmel die Ursache für die Erkrankungen ist. Trotz allem, stellt er bedauernd fest, leide zunehmend der Ruf der Stadt unter der Diskussion. „Wenn es einen eindeutigen wissenschaftlichen Beleg dafür gäbe, daß das AKW daran schuld ist, wäre ich der erste, der die Stillegung fordern würde“, sagt er. Dieser Beweis sei bislang nicht erbracht worden.

Die Mitinitiatorin des Bürgervereins gegen Leukämie, Marion Lewandowski, fordert dagegen, daß die Beweisführung umgekehrt wird. „Wir können zwar nicht kausal belegen, daß Krümmel schuld ist, aber die Betreiber können andererseits auch nicht beweisen, daß sie es nicht sind.“ Es gebe viele „plausible Inidizien“ und Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Reaktor und den Leukämiefällen nahelegten.

Die aber, sagt Lewandowski, „werden heruntergespielt“.

Marion Kraske