Schiefe Schilder

Der serbische Oscar-Kandidat auf dem Festival des osteuropäischen Films in Cottbus  ■ Von Mariam Niroumand

Während Sarajevo von Beginn des Balkankriegs an mit Kulturproduktion assoziiert wurde, hörte man aus Belgrad in dieser Hinsicht so gut wie nichts, das über „andersgelbe Nudeln“ (Handke) hinausgegangen wäre. Um so überraschender traf die Nachricht ein, daß ein serbischer Spielfilm, Srdan Dragojevičs „Schöne Dörfer brennen schön“, für den Oscar in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ nominiert wurde. Der 34jährige Dragojevič, ein diplomierter Psychologe, ist in Serbien auch als Romancier und Dichter bekannt; sein letzter Film, „Mi Nismo Andsheli“ (1992) war insbesondere unter jungen Serben ein großer Erfolg.

„Schöne Dörfer brennen schön“ wird dieser Tage neben Beiträgen aus Kroatien, Makedonien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina auf dem Festival des osteuropäischen Films in Cottbus vorgestellt. Auf den ersten Blick hat er verblüffende Ähnlichkeit mit Emir Kusturicas „Underground“, der vergangenes Jahr in Cannes preisgekrönt worden war, bevor er eine internationale Kontroverse auslöste.

Es ist schon seltsam, aber es scheint so eine Art osteuropäischer Ikonographie zu geben, etwas mit derbem, eher ländlich koloriertem Humor, ein Gemisch aus Burleske und Commedia dell'arte: Dicke Frauen klettern mit kleinen Jungens in die Berge und fummeln ihnen an der Hose, bis die ängstlich weglaufen; Männer, die gerade aufschneiden wollen, stürzen über ein Schwein, Aufgeschnatzte treten aus glänzenden Autos in tiefe Scheiße, oder die beiden Helden (es sind immer gern zwei, alles wird dichotomisch erzählt) bringen ein Schild schief an. Von Ferne erkennt man noch die christliche Figur des Narrenschiffs. Es knallt, klatscht und knattert viel.

Ab und an ein Zug zum Grausamen, zum Grand Guignol, mit Haß aufs Bürgerliche; in „Schöne Dörfer brennen schön“ schicken die belagernden Muslime den in einem Tunnel festsitzenden Tschetniks die Lehrerin ihres Anführers Milan zurück, die sie offensichtlich schwer mißhandelt haben.

Die Tschetniks vermuten nun, daß man sie mit Sprengstoff „vollgestopft“ habe, aber da viele von ihnen ebenfalls verwundet sind, bleibt nur noch Milan selbst, um ihr den Gnadenschuß zu geben. Die Bemerkung, es seien die Intellektuellen gewesen, die das serbische Unglück besiegelt haben, fällt öfter im Film. Das Pressematerial insistiert darauf, daß es sich um eine wahre Begebenheit handele.

Diese Begebenheit soll sich im ersten Kriegswinter 1992 an der bosnischen Grenze abgespielt haben. Milan und seine Leute waren in einen Hinterhalt geraten und in eben jenen Tunnel getrieben worden, in dem der Filmemacher ganz offensichtlich Serbien insgesamt sieht: von der Umgebung abgeschnitten, unverstanden, bedroht.

Im Tunnel finden sie, verängstigt in einem Jeep kauernd, eine amerikanische Journalistin, die im folgenden für die Reanimation sämtlicher Handkescher Verfolgungstheorien herhalten muß. „Laßt uns sie doch melken – sie wird eh behaupten, daß wir es getan haben“, sagt einer von ihnen, aber die anderen lassen ihn nicht, sondern teilen die anderthalb Liter Wasser mit ihr, die sie in der Finsternis gefunden haben.

In seinen besten Momenten, wenn der rohe Spaß am Kriegsfilm einmal in den Hintergrund tritt, vermittelt der Film eine deprimierende Ratlosigkeit angesichts der vielen Programme, für die man sich begeistert hat und die doch nicht aus der Isolation geführt haben: Leise spielt einer die Internationale, zum Gelächter der ganzen Mannschaft; als die serbische Opposition gegen den Krieg protestiert, singen sie „All we are saying, is give peace a chance“, und sehen dabei wie lächerliche Lennon-Imitate aus. Im Tunnel steht einer der Jungs vor der Journalistin auf und ruft mit zitternder Stimme: „Wir Serben sind das älteste Volk, als die Amerikaner, die Franzosen und die Deutschen ihr Schweinefleich noch mit den Fingern fraßen, hatten wir schon Messer und Gabel.“

Der Schock, von den Nachbarn nicht mehr zur zivilisierten Welt gerechnet zu werden, sitzt tief. Der Film klingt aus in einer vagen Idee von privater Freundschaft als letzter möglicher Hoffnung.

„Schöne Dörfer brennen schön“ (Lepa sela lepo gore). Regie: Srdan Dragojevič, Bundesrepublik Jugoslawien 1995.

Das Festival des jungen osteuropäischen Films findet seit 23. und noch bis 27. Oktober statt. In Cottbus, im Glad-House, dem Obenkino und in den Kammerlichtspielen.

Heute abend gibt es eine Diskussion über das gesamte Filmprogramm aus Exjugoslawien.