Allerhand Theater um „Kunst“

■ Im Bremer Theater diskutierten Kunstschaffende: Darf das Theater die bildende Kunst „vorführen“?

Ist das Theaterstück „Kunst“, das seit Oktober auf dem Spielplan des Bremer Schauspielhauses steht, ein kunstfeindliches Stück? Darf die darstellende sich der bildenden Kunst bedienen oder sich gar auf deren Kosten lustig machen? Darüber debattierten gestern im Schauspielhaus: Kay Neumann (Regisseur), Susanne Meister (Dramaturgin), Thomas Deecke (Neues Museum Weserburg), Peter Bürger (Uni Bremen) und Jean-Francois Chevrier (Ecole Normale Superieure des Beaux-Arts, Paris, und Documenta-Berater).

Zur Vorgeschichte: In dem Stück der französischen Autorin Yamina Raza geht es um eine Männerfreundschaft, die durch den Ankauf eines großen weißen Bildes auf eine harte Probe gestellt wird. An dem monochromen Bild, das der erfolgreiche Arzt Serge für astronomische 200 000 Francs gekauft hat, scheiden sich die Geister. An dem weißen Nichts entzündet sich ein (für das Publikum amüsanter) Streit über Kunst, Freundschaft und das moderne Leben im Allgemeinen. Und schließlich ist es fast so, als führe das Stück ein Eigenleben, als hätten sich die Protagonisten unter die Bremer Kunstschaffenden begeben. Der Vorwurf: „Kunst“ befördere die Vorurteile gegenüber der modernen bildenden Kunst.

Museumsdirektor Deecke wirft dem Stück mangelnde Auseinandersetzung mit der modernen Kunst vor. Der Plot sei austauschbar, statt des Bildes hätte die Autorin auch auf einen Porsche als Streitobjekt verfallen können. Seine Unterstellung: „Yamina Raza hat sich einer Sache bedient, von der sie nichts versteht.“ Und stellt sie quasi in eine Reihe mit dem Dichter Günter Kunert oder Günter Grass, deren Kritik an moderner Kunst „reaktionär und unsinnig“ sei. Für die Dramaturgin Susanne Meister hingegen ist „Kunst“ ein Charakterstück, das weiße Bild lediglich ein Katalysator und nicht der zentrale Inhalt. „Und plötzlich sind wir mit dem Vorwurf konfrontiert, ein kunstfeindliches Stück inzeniert zu haben.“ „Ist es nicht“, meint Peter Bürger, „es ist ein Stück über drei Großstadthysteriker und handelt von der Sprachlosigkeit als modernem Phänomen.“ Deecke, der nicht als beleidigte Leberwurst erscheinen will, verspürt trotzdem ein „Grummeln im Bauch. Als jemand, der monochrome Bilder ausstellt, betrifft es mich, wenn im Theater die Lacher auf Kosten dieser Kunst gehen.“ Die Vorbehalte des Publikums gegenüber einem so gewichtigen Motiv der bildenden Kunst würden auf Stammtischniveau geschürt. Stimmt nicht, meint Susanne Meister. Das Publikum werde auf moderne Kunst gestoßen und entscheide sich vielleicht, diese in der Weserburg anzusehen. Auf jeden Fall sollte man es den ZuschauerInnen überlassen, was sie damit machen. Kay Neumann: „Als ein Skifahrer auf das Bild gemalt wird, hat es Szenenapplaus gegeben, aber auch Erleichterung, als das Bild am Ende wieder völlig weiß erscheint.“ Für viele „ganz normale Leute“ stelle die ästhetische Provokation eines solchen Bildes eine Überforderung dar, die sich in „Kunst“ als Lacher entladen könne. „Wie ist das mit dem Humor in der Kunst? Ist doch schön, wenn sich beides verbinden darf.“ Vielleicht ist der Umgang damit ja ein Generationsproblem, sinniert Peter Bürger. „Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Moderne fast ein sakraler Raum, außerhalb jeder Kritik. Heute geht man da lockerer ran.“ Wie sakral kann Kunst heute noch sein, wenn sie mit soviel „Kohle“ auf dem Markt gehandelt wird, fragt sich Regisseur Neumann. „Das ist für uns eine Frage des Stückes: Welche Maßstäbe zählen, neben dem Geld, noch in der Kunst?“ Diese Frage vermag auch der eigens „eingeflogene“ Kunstprofessor Chevrier nicht erschöpfend zu beantworten. Dabei wartet das Publikum gespannt auf dessen Bericht aus der französischen Kulturszene, wo es einen intensiven Diskurs zwischen darstellender und bildender Kunst gebe. „In Frankreich gibt es zwei Tendenzen“, so der Professor. „Die Avantgarde wird von Anhängern des Surrealisten Marcel Duchamp vertreten, und die Befürworter des Politischen zitieren Hanna Arendt. Man streitet sich, manchmal redet man aneinander vorbei.“ „Wie in unserem Stück“, meint Neumann lakonisch und hat damit die (erleichterten) Lacher auf seiner Seite. Beate Hoffmann