Das Pulver kann sich jederzeit entzünden

■ Der indonesische Schriftsteller und Regimekritiker Pramoedya Ananta Toer über die Herrschaftsmethoden von Helmut Kohls derzeitigem Gastgeber General Suharto und die Chancen auf Demokratisierung in

taz: Warum dürfen viele Ihrer Werke in Indonesien immer noch nicht erscheinen?

Pramoedya Ananta Toer: Fragen Sie die Regierung. Für mich ist jedes Verbot wie eine Auszeichnung.

Aber schlecht für Ihre indonesischen LeserInnen.

Die kriegen meine Bücher schon zu lesen, sie werden fotokopiert. Die Regierung kann gegen die moderne Technologie nicht ankommen. Bis vor kurzem sind auch regelmäßig junge Leute zu mir gekommen, Studenten und sogar Gymnasiasten.

Jetzt nicht mehr?

Nachdem der Staatsanwalt mich vorgeladen hat, um mich zu meinen Kontakten zur PRD zu befragen ...

... einer Gruppe linker Studenten und Gewerkschaftsaktivisten, die von der Regierung beschuldigt wird, Kommunisten zu sein. Die Gruppe hatte Ihnen einen Literaturpreis verliehen.

Jedenfalls hat mich niemand von ihnen mehr besucht. Sie fürchten wohl, daß mir ein solcher Besuch Schwierigkeiten bringen könnte.

Wenn Sie heute jung wären, worüber würden Sie schreiben?

Ich würde nicht nur schreiben, sondern mich auch an der Demokratiebewegung beteiligen. Mein Thema wäre „Nationbuilding“ – der Aufbau des Landes.

Damit haben Sie sich aber auch schon vor dreißig Jahren beschäftigt.

Es ist immer noch aktuell. Damals waren wir in einer revolutionären Periode. Doch dann wurde Sukarno 1965 gestürzt. Heute, da wir immer noch versuchen, unsere Nation aufzubauen, steht etwas Neues auf der Tagesordnung: die Globalisierung.

Was heißt das?

Das System ist dazu da, das Kapital der multinationalen Unternehmen zu schützen. Indonesien hat nie eine Periode der Demokratie erfahren. Und jetzt steht es bereits vor der neuen Ära des Neokolonialismus. Alle Leute, die eine Gefahr für das internationale Kapital bedeuten können, werden so behandelt wie ich.

Wer kann Veränderung in Indonesien bringen?

In Indonesien ist jede Veränderung, ob erfolgreich oder nicht, von der Jugend initiiert worden. Sie muß die politische Struktur reformieren. Dabei dürfen sie aber niemals Gewalt anwenden. Wenn erst Gewalt ausbricht, wird Indonesien ein zweites Jugoslawien. Andere Inseln werden sich dann von Java abtrennen wollen. Andere Staaten werden sich in die indonesischen Angelegenheiten einmischen.

Fürchten Sie, daß dies geschehen könnte?

Es gibt Hinweise darauf, daß die Gewaltbereitschaft wächst. Bauern greifen mittlerweile Armeeposten an, selbst Grundschüler protestieren.

Warum?

Ein Grund ist die Unzufriedenheit mit der Regierung. Außerdem leiden die Leute unter der sozialen Lage. Das Pulver liegt überall. Es kann sich jederzeit entzünden. Es ist nur die Frage, wer das Streichholz wirft.

Die indonesische Regierung rechtfertigt die Einschränkung der Meinungsfreiheit damit, daß sie die Einheit des Landes schützen muß.

Das ist Unsinn.

Kann es jemals gute Gründe dafür geben, die Meinungsfreiheit einzuschränken?

Ja, in den fünfziger Jahren war ich damit einverstanden, weil die Leute damals noch nicht genug vorbereitet auf die Demokratie waren. Ich stimmte mit Sukarnos sogenannter „geleiteter Demokratie“ überein.

Und jetzt?

Jetzt ist die Zeit anders. Heute gibt es absolut keinen Grund mehr dafür, die Meinungsfreiheit zu beschränken. Jetzt sind wir in der Periode der Globalisierung, jetzt sollten wir demokratische Verhältnisse haben. Es gibt in Indonesien Redefreiheit, aber leider nur für hochrangige Personen. Die einfachen Menschen dürfen nur Ohren haben.

Hat die Regierung Suhartos auch positive Aspekte?

Die Ideologie der „Neuen Ordnung“ Suhartos versteckt sich hinter dem Erfolg der Wirtschaft. Was wir sehen, ist der Beton-Dschungel. Alles wird zugepflastert. Aber was man nicht sofort sieht, ist, daß die Leute täglich von ihrem Land vertrieben werden. Diese Macht nimmt den Menschen die Würde. Sie tötet Menschen. Deshalb respektiere ich den philippinischen Präsidenten Fidel Ramos. Er hat sich sogar für zwei Hausmädchen eingesetzt ...

... die im Ausland zum Tode verurteilt waren.

Ja. Hier in Indonesien werden Menschen umgebracht. Etwa in Irian Jaya, Aceh, Ost-Timor.

Kann der diesjährige Friedensnobelpreis für Bischof Belo und Jose Ramos-Horta den Ost-Timoresen helfen?

Ich war mit der Politik von Präsident Sukarno einverstanden, der niemals die Absicht hatte, Ost-Timor zu besetzen. Denn nach unseren Gesetzen umfaßt Indonesien das Gebiet der früheren holländischen Kolonien. Ost-Timor gehörte nie dazu. Laßt den Timoresen doch ihre Freiheit! Als ich noch auf der Gefangeneninsel Buru war, sagte mir ein Offizier: Wir werden Ost-Timor innerhalb von zwei Tagen im Griff haben. Und jetzt ist es immer noch ein Problem.

Wird der Friedensnobelpreis die indonesische Regierung in ihrer Politik gegenüber Ost-Timor beeinflussen?

Portugal ist gerade in den Weltsicherheitsrat gewählt worden. Der internationale Druck auf Indonesien wächst. Das ist in Ordnung. Ich möchte niemals andere Menschen unterdrücken. Das ist mein persönliches Prinzip, das auch für Ost-Timor gelten sollte. Wenn wir ein zivilisiertes Land sein wollen, dann müssen wir die Ost-Timoresen freilassen. Wir können ihnen wirtschaftlich helfen. Das wäre würdiger, als sie zu unterdrücken.

Suharto ist ein alter Mann. Was kommt nach ihm?

Es steht mir nicht an, diese Frage zu beantworten, das muß die junge Generation tun.

Wenn Sie Suharto heute treffen würden, was würden Sie ihm sagen?

Ich würde ihm nicht einmal die Hand schütteln. Interview: Jutta Lietsch, Jakarta